1. Advent 2015
Bitte, stellt Euch einfach vor, dass ihr in einer Kirche sitzt. Die erste Kerze des Advent ist entzündet. Einige bekannte Lieder sind gesungen. Ihr fühlt Euch eingestimmt. Und jetzt hört ihr mich sprechen. Als ich diese ‚Predigt‘ aufschrieb, hatte ich unterschiedliche Menschen vor Augen. Menschen, für die ihr mit Euren ‚A- bis Z‘-Namen ’steht‘ ….
Liebe Gemeinde, liebe Schwestern und Brüder in Gemeinschaft mit der Vertrauenskraft Jesu Christi,
ich habe mich in die überlieferten Texte zum Advent eingefühlt und hineingedacht. Es ist meine Gewissheit, dass Gott durch Seinen Geist unser menschliches Fühlen und Denken in das verwandeln kann, das uns trägt und erhält.
Daher bitte ich: Mache uns zum guten Lande, wenn dein Samenkorn in uns fällt. Amen.
‚Ich habe noch gar kein Weihnachtsgefühl’, sagt mir eine Bekannte, der ich im Trubel des eröffneten ‚Weihnachtsmarktes’ in Osnabrück begegne.
Mir geht diese Bemerkung nach. Sie ist nicht neu. Sie ist eigentlich jedes Jahr zu hören. Aber: Mit Blick auf diesen 1. Advent formuliere ich: Was ist das denn eigentlich – ein adventliches Gefühl?
Und wenn es ein solches Gefühl gibt – woraus bezieht es denn seine ‚Nahrung’? Aus eben diesen Weihnachtsmärkten? Aus Lichterketten und Glühwein-Duft? Aus den sich immer wiederholenden kunstgewerblichen Angeboten vom Stern bis zum Engel?
‚Ich habe noch kein Gefühl für Advent oder Weihnachten’ – das wird ja meist mit einem bedauernden Unterton gesagt. So, als gäbe es da eine Sehnsucht, die aber nicht gestillt ist, vielleicht gar nicht gestillt sein kann?
Das ist die Spur, der ich mit Ihnen, mit Euch heute Morgen folgen möchte. Advent heißt ja Ankunft. Und diese Ankunft könnte ja etwas mit solcher durchklingenden Sehnsucht zu tun haben?
Und was kommt da an? ‚Das kommt ja gut an’, habe ich für diesen Gottesdienst formuliert. Sie haben das Foto vom Kokon und vom Schmetterling gesehen. Der ‚Kokon’ ist Ort der Sehnsucht. Das ist der ‚adventliche Ort’. In diesem ‚Kokon’-Sein erreichen uns die Lebens-Botschaften.
So schauen wir in die Texte, die den einzelnen Sonntagen des Advent ihre Prägung geben.
„Macht hoch die Tür, die Tor macht weit …“ singen wir heute am 1. Advent. Eine geöffnete Tür gibt den Blick frei. Erwartung wird konkret. Wir erinnern uns an die Erzählung des Einzuges Jesu in Jerusalem, die wir schon gehört haben.
Die Menschen damals haben zuerst daran gedacht, dass sich mit dem Einzug Jesu in Jerusalem ihre politische Situation verändern würde und die Enttäuschung war entsprechend groß. Wenige Wochen später schlagen die Lobes-Hymnen in das „Kreuzige-ihn-Geschrei“ um. Allerdings – und das ist das Bild – zieht eine Kraft in unser Leben ein, die uns in unserem Inneren aufsucht und dort zu Veränderungen ermutigt. Wie ein Fanal folgt der Erzählung vom Einzug Jesu sein radikaler Eingriff in die Machenschaften der Händler im Tempelbereich: Weg hier!
Und wir fragen uns: Wie stehe ich zu der Aussage:
Es zieht eine Kraft in mein Leben ein,
die mich in meinem Inneren aufsucht
und mich zu Veränderungen ermutigt?
Erwartung: Eine neue Kraft
KURZE STILLE
Am 2. Advent besinnen wir uns auf die Zeichen der Erfüllung. Bedrängendes und Ängstigendes als Zeichen?
„Und es werden Zeichen sein an Sonne, Mond und Sternen und auf der Erde, Bedrängnis der Nationen …“ schreibt Lukas in seinem Evangelium. Er fügt ein Gleichnis von Jesus ein: Wenn die Bäume Knospen setzen, wisst ihr, dass der Sommer nahe ist. So erkennt ihr auch im Bedrängenden, dass das Reich Gottes nahe ist.
Und wir fragen uns:
In den Einbrüchen deines und meines Lebens
liegt wie verborgen das Signal der Erneuerung?
Kann ich auch in den schwierigen Zeiten meines Lebens
Zeichen der Hoffnung erkennen?
Ermutigung: Aufsehen zur ‚Knospe‘
KURZE STILLE
Wir werden ermutigt, gerade in diesen Momenten unseres Lebens aufzublicken, um an einem wie abgestorben wirkenden Baum die aufbrechenden Knospen zu erleben. Nimm dieses Natur-Ereignis als Gewissheit: In den schwierigen Zeiten deines Lebens wird die Kraft, die dich stützt, besonders spürbar.
Am 3. Advent besinnen wir uns auf unsere Zweifel.
„Bist du der, auf den wir warten?“, wird Jesus von dem im Gefängnis sitzenden Johannes gefragt. Und er antwortet keineswegs philosophisch, sondern ganz Realität bezogen: Sagt weiter, was ihr seht!
Und wir fragen uns:
Worauf soll ich mich denn einstellen?
Eben noch habe ich die kleinen Knospen am „Baum meiner Alltagsrealität“ gesehen –
aber jetzt werde ich doch unsicher
angesichts der ganzen Ereignisse von Krieg, Hunger, Katastrophen, Terror-Drohung, Gewalt,
auch angesichts meines Versagens.
Neige ich angesichts von Problemen zur Resignation?
Mache ich mir meine Sehnsucht bewusst und gehe ich in die ‚Offensive’?
Kann ich im Gebet so etwas wie eine ‚Offensive’ erkennen?
Veränderung: Unscheinbares in der Offensive
KURZE STILLE
Ich werde auf meine eigene Lebensrealität gewiesen: Neue Erkenntnisse gewinnen, aus Lähmungen aufbrechen, , Eine gute Botschaft gehört, die weitergebracht hat. aus dem Abseits wieder in die Mitte des Lebens gekommen?
Und am 4. Advent machen wir uns mit Maria auf den Weg ins Gebirge zu Elisabeth in eine Stadt Judas und werden Zeuge einer bewegenden Begegnung. Lukas beschreibt sie so: „Und es geschah, als Elisabeth den Gruß der Maria hörte, hüpfte das Kind in ihrem Leibe …“
Maria versteht nichts und fühlt alles. Und sie singt und wir hören sie singen – ihren Lobgesang …
Und wir fragen:
Wohin treibt mich meine Sehnsucht?
Wohin möchte ich mich ‚eilend’ aufmachen?
Wo könnte ich ‚tiefgehende’ Erfahrungen machen?
Kenne ich meine ‚Erfahrungs-Orte’?
Gab es in meinem Leben Momente,
wo ‚etwas in mir hüpfte’, weil mich ‚der Gruß Gottes’ erreichte?
Begegnung: Zarte Berührung des Erstarrten
KURZE STILLE
Drei Advent-Sonntage liegen vor uns. Heute ist der 1. Advent. Und alle Sonntage erzählen von der großen Sehnsucht, die hinter allen Alltäglichkeiten verborgen ist.
Aber läuft diese Sehnsucht trotz aller ermutigenden Bilder denn nicht in die Leere? Sind das ‚leere’ Versprechungen? Leere Versprechungen treiben schnell in die Enttäuschung und in die Suche nach ‚Ersatz’.
Dann wird zum Beispiel diese Zeit mit tausendfachen Lichtbirnchen, mit Lebkuchen- und Glühwein-Ambiente zum Ersatz, der die Sehnsucht stillen möchte und schließlich ist viel Geld ausgegeben und zurück bleibt die resignierende Erfahrung: Ich habe kein adventliches, kein weihnachtliches Gefühl.
In dieses Dilemma, liebe Schwestern und Brüder, spricht eine Sehnsucht von der anderen Seite.
Ich, Gott habe Sehnsucht nach dir, Mensch.
Beim Propheten Hosea lesen wir von der Sehnsucht Gottes so:
Das Herz dreht sich in mir um, wenn ich sehe, wie du dich quälst.
Mich packt das Mitleid mit dir! Ich bringe euch wieder in die Heimat!
Ich brauche nichts mehr als deine Sehnsucht nach mir, sagt Gott. Das ist die Erfüllung: Unsere gegenseitige Sehnsucht wird eins. Und das feiern wir.
Und nun werden die tausendfachen elektrischen Birnchen zum Symbol dieses Festes. Und deshalb werden die immer wieder gesungenen Lieder zum Symbol dieses Festes. Und deshalb werden die besonderen Gerüche zum Symbol dieses Festes!
Und deshalb singen wir die Lieder von Licht und Liebe, die die inneren Türen öffnen. So ist das!
Du, der trotz allem scheinbaren Schicksal uns festhält.
Du, der Freude hat an Menschen.
Du, der das Wort zu uns gesprochen hat,
das unsere Seele erfüllt.
Lass uns nicht leer und verloren und ohne Aussicht,
lass uns offen werden für deine Sehnsucht nach uns,
die seit Menschengedenken uns ruft.
Text: Huub Ossterhuis, Theologe und Poet
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle unsere Gedanken, der bleibe bei uns. Der sprenge unseren ‚Kokon’ und überrasche uns mit der Leichtigkeit eines ‚Schmetterlings’.
Amen.
Euer