In Zeiten der ‚Corona‘-Krise
ZWISCHENRÄUME NUTZEN
‚Das ist ambivalent‘ – ‚Ich fühle mich ambivalent‘. So sprechen wir oder hören andere so sprechen. Ein Fremdwort, vielen vertraut. Dahinter erlebte Gefühle von Zwiespältigkeit und Zerrissenheit. Ambivalenz beschreibt immer Gleichwertiges in Konkurrenz. Ihr ausgeliefert bedeutet, sich ‚gespalten‘ oder ‚zerrissen‘ zu fühlen, weil Doppelwertiges zur Entscheidung zerrt.
Mit der zur Zeit verordneten Isolation wegen nachgewiesener bedrohende Virus-Infektion wird diese Zerreiß-Situation existenziell. So gibt es Isolation und Kontaktsperre einerseits und andererseits wächst der Wunsch nach Kontakt und Freiheit unermesslich.
Wir müssen uns solchen Ambivalenzen nicht passiv ausliefern und in einer destruktiven Aggression oder selbstzerstörerischer Depression landen. Zwischen beiden Positionen gleichwertiger Vorgaben und Annahmen gibt es einen Zwischenraum. Diesen ‚Zwischenraum‘ ‚bewohnen‘ wir und fühlen uns in oben genannter Polarisation ausgeliefert wie Gefangene.
Die Be-‚Deutung‘ von Ambivalenzen in den Zwischenräumen, in dem Ungefüllten, in dem, was nicht da ist, in dem ich mich aber selbst befinde! Statt mich zerreißen zu lassen, atme ich erst einmal durch. Das ist eine gute Hilfe, bei sich anzukommen, in sich zu gehen. So erhält das ‚Dazwischen‘ Leben und schafft Räume zum Handeln. Vielleicht sind es Tag-Träume und Fantasien, die die Vorstellungen beflügeln.
Die Erkenntnis, diese gleichwertigen Gegensätzlichkeiten nicht ‚gegenstandslos‘ machen zu können sind die eine Seite. Eine zweite schafft sich in dieser ‚Zwischenraum-Existenz‘ Präsenz: Du kannst dich in dieser Zerrissenheit verändern. Diese zweite Erkenntnis erhält Stimme zur Ermutigung, geduldig zu werden. In spirituellem Verständnis ist es die ‚Stimme Gottes‘ in dir. Und diese Stimme lädt unmerklich ein zum Dialog. Du erlebst dich selbst im Dialog mit dieser Stimme. Du hörst dich, die Unerträglichkeit der Situation zu beschreiben. Und im Nachhinein dann überraschend die Erfahrung, ruhig geworden zu sein, abwägen und Ideen zur Bewältigung entwickeln zu können.
Als der biblische Prophet Elia einmal in einem solchen ‚Zwischenraum‘ von Aussichtslosigkeit auf ‚Gott‘ wartet, wird berichtet: ‚Gott war nicht in dem großen tosenden Sturm. Er war auch nicht in dem gewaltigen krachenden Erdbeben und nicht im lodernden heißen Feuer.
Sturm, Erdbeben, Feuer sind Bilder für Ausgeliefert-Sein und Machtlosigkeit angesichts sich epidemisch ausbreitender Virusinfektionen. Die ausgelösten unerbittlichen Ambivalenzen, sind zunächst einfach auszuhalten. Als ‚das alles‘ vorbei war und Stille eintrat, begegnet ‚Gott‘ ihm im leisen Säuseln des Windes.‘ (Nachzulesen im Ersten Testament 1. Könige 19,11+12). Es ist das leise Säuseln geweckter Zuversicht und Handlungsfähigkeit. Diesen Prozess nennen wir auch ‚erhörtes Gebet‘. Elia jedenfalls kann wieder handeln.
‚Gott‘ zeigt sich, wo scheinbar nichts geschieht. Jemand hat einmal so gedeutet: Gott ist wie die Fuge, dort wo das Widersprüchliche sich ereignet und die Bewältigungsstrategien wachsen.
In einer seelsorgerlichen Anleitung wird diese Situation so begleitet:
(Mit freundlicher Genehmigung des Kirchenkreises Bramsche / Osnabrücker Land)
1.Wenn man längere Zeit einer Stresssituation ausgesetzt ist, durchlebt man verschiedene Phasen: Am Anfang ist alles neu und ungewohnt. Wir haben Kraft und stellen uns den Herausforderungen. Das ist die Motivationsphase.
2.Dauert der Stresszustand über Wochen und Monate an, wird das Neue zum Gewohnten. Die Motivation lässt nach. Es fällt uns zunehmend schwer, unsere Aufgaben zu erledigen. Uns geht die Kraft aus. Das ist die Durchhaltephase.
2. Vor allem in der Durchhaltephase brauchen Menschen Unterstützung. Es muss noch mal erklärt werden, warum die Aufgabe sinnvoll und wichtig ist. Den Menschen Abwechselung zu verschaffen ist wichtig. Wer für andere Menschen Verantwortung trägt, sollte gerade in der Durchhaltephase versuchen, noch mal etwas Neues zu veranstalten oder eine neue Sichtweise (Hoffnung) weiterzugeben.
3. Wer sich besonders belastet fühlt, kann auch versuchen, sich über die Art der Belastung klar zu werden: Ich fühle mich belastet durch unangenehme Erlebnisse oder Gedanken. Ich spüre Ängste, die ich nicht genau benennen kann. Was ist eigentlich belastend in dieser Situation: Unplanbarkeit, Mangel an Information oder die Sorge, dass mich kommende Ereignisse überfordern könnten. Ich mache mir Sorgen um mich selbst oder mir nahe stehende Personen.Es ist auch wichtig, sich immer mal wieder selbst zu beobachten: Verliere ich meinen Tag-Nacht-Rhythmus? Bin ich reizbarer oder aggressiver als sonst?
Aus diesen Überlegungen und Klärungen könnt Ihr vielleicht selber schon Gedanken und Verhaltensweisen ableiten, die die Belastung verringern.
Untätigkeit kann auch zu Stress führen. Wer gerne etwas tun will, aber nicht kann /darf, erlebt sich selbst vielleicht auch als weniger wertgeschätzt, hilfreich oder brauchbar.
4. In der Kirche verstehen wir etwas davon, Hoffnung zu machen. Das ist dann wichtig, wenn wir bei anderen Zeichen der Erschöpfung und Resignation wahrnehmen. Wenn wir solche Zeichen bei uns selbst wahrnehmen, sollten wir uns vielleicht mehr mit Menschen über Telefon oder Internet Kontakt aufnehmen oder uns etwas Gutes tun, das uns hilft.
5. Jede/r erlebt Stress anders. Jeder erlebt auch diese beiden o.g. Stressphasen zu anderen Zeitpunkten. Wenn der Stress zu viel wird, steigt die Aggression oder die Resignation bzw. Depression. Deshalb kommt es – je länger je mehr – darauf an, die seelischen Kräfte in konstruktive Bahnen zu lenken, so dass Menschen sich wieder als selbstwirksam erleben können. Hier ist Kreativität gefragt. Und ein guter Rhythmus zwischen Anspannung und Entspannung.
Ein entsprechendes Struktur-Bild ist unter diesem Link aufzurufen
Ich wünsche Orientierung und Durchhaltekraft in schwierigen Zeiten!
Jan-Peter Wilckens
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