SICHTWEISE FÜR KONSTRUKTIVE MEINUNGSBILDUNG
Angst vor dem Abstieg und der Globalisierung spielt eine große Rolle für die Unterstützer von rechtspopulistischen Parteien in der EU. Angst – dieser negative Blick auf die Dinge löst keine Probleme, sondern schafft nur welche, kommentiert Kirsten Pape (WDR5, 1.12.2016)
Vermutlich kennen Sie diesen Spruch, wonach es von der Perspektive der Betrachterin abhängt, ob das Glas halb voll ist oder halb leer.
Sehe ich es als halb leer an, fokussiere ich auf Mangel, auf das, was nicht da ist, und ziemlich sicher habe ich Angst, dass mein Glas niemals voll wird. Weil ich aber wie jeder Mensch das Grundbedürfnis habe, gesehen zu werden und dazu zu gehören, neige ich dann mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu, neidisch oder wütend zu werden auf alle, die vermeintlich oder tatsächlich mehr bekommen oder schon haben als ich. Oder ich fühle mich gekränkt, weil meine Stimme, meine Interessen, meine Sichtweisen und Bedürfnisse vermeintlich nicht so viel zählen.
Sehe ich mein Glas dagegen als halb voll an, fokussiere ich auf Fülle, wertschätze, was bereits da ist und arbeite vielleicht sogar darauf hin, dass es bald ganz voll wird. Und zwar nicht nur für mich, denn Fülle steht selbstverständlich jedem zu.
Ich würde mir wünschen, dass diese zweite Sichtweise stärker Einzug hält in den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung: Eine Haltung, die motiviert mitzuarbeiten daran, das Glas vollzumachen für möglichst viele.
Mut und der konstruktive Blick darauf, wie wir eine gerechte Verteilung unseres Wohlstands organisieren, sind nötig, wenn wir wegwollen vom ewigen Diskurs der Angst. Dazu gehört, in den Medien auch Geschichten des Gelingens zu erzählen und nicht fast ausschließlich auf Krise und Streit und Negativität zu fokussieren. Dazu gehört, den Menschen zuzuhören, die Angst haben, nicht genug abzubekommen vom globalen Kuchen. Sie brauchen Angebote, Chancen, Perspektiven für eine Zukunft, in der auch sie ihr Glas füllen können. Dazu gehört die ehrliche Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen – und über eine viel höhere Besteuerung der Reichen und Superreichen, deren Gläser überlaufen und die in der Regel wenig abzugeben bereit sind von ihrem Wohlstand.
Dazu gehört, alle viel stärker einzubeziehen in den komplexen und schwierigen politischen Gestaltungsprozess: Sowohl die vielen, die sich als Verlierer empfinden, als auch die mindestens genauso vielen, die sich nicht auf Angst und Abschottung ausrichten, sondern jetzt schon Verantwortung übernehmen für die Welt in der wir nun mal alle gemeinsam leben. Unzählige Initiativen arbeiten bereits daran, den Prozess für die dringend notwendige Neuordnung der aus dem Ruder gelaufenen Wachstumsgesellschaft einzuleiten.
Und dazu gehört auch Verzichten und Teilen. Denn wenn ich anderen etwas abgebe aus meinem halbvollen Glas, kann mich das ziemlich zufrieden machen.
Und mir die Angst nehmen.
Diesen Kommentar habe ich heute morgen im Radio gehört, gerade auf dem Weg zur Vorbereitung eines Ereignisses in unserer wie in vielen Gemeinden: Ankunft des Friedenslichtes aus Bethlehem. Für mich ein Beitrag zum Frieden. Alles, was Angst nimmt, dient dem Frieden!