OFFENER BRIEF
AN DEN PRÄSIDENTEN
DER RUSSISCHEN FÖDERATION
WLADIMIR PUTIN
Sehr geehrter Wladimir Putin,
angesichts der jüngsten Geschehnisse um den Konflikt an der russisch-ukrainischen Grenze habe ich oft an Sie gedacht, mich in Sie hinein zu versetzen versucht, wenn ich Sie am langen ovalen Tisch im Gespräch erlebte. An einen Menschen denken, heißt für mich in erster Linie, ihn verstehen zu wollen.
Ich weiß aus meiner eigenen Biografie um die Macht erfahrener Prägungen. Wir sind durch frühe Entwicklungsgeschichte ‚Gezeichnete‘ und müssen immer darauf achten – besonders in kritischen Entwicklungen – , dass wir ‚klaren Kopf‘ behalten und nicht Getriebene unserer Prägungen sind.
Zu unseren Prägungen gehören auch Verluste. Diese Erfahrungen sitzen besonders tief verankert. Was einmal unser Leben bestimmte, eine gewisse Vertrautheit erlangte, hat hohe Haftungskraft. Wenn die verloren geht, ist das ein schmerzhafter Prozess und bekannte Kräfte wie ‚Nicht-mir-mir!‘ übernehmen häufig Regie.
Altersmäßig liegen zwischen uns 14 Jahre. Ich wurde noch von der unheilvollen Vision eines ‚Großdeutschen Reiches‘ geprägt und verführt, dem sich alle und alles unterzuordnen hatten. Ich habe in jungen Jahren schmerzhaft die Folgen dieser Hybris ertragen und erleben müssen, als ein kleines von Siegermächten abhängiges und geteiltes Land entstand. Ein weiteres Verständnis von Abgrenzung und ‚Feinschaft‘ nistete sich ein.
Es ist gut, in Zeiten der Krise sehr genau auf die Bedingungen zu schauen. Ihr Land und mein Land sind schmerzhaft und unheilvoll miteinander verbunden. Ihrem Land ist unvorstellbares Leid zugefügt worden. Gleichzeitig gilt aber auch die Erfahrung, dass es auch Ihr Land war, das die Wunde meines geteilten Landes entscheidend zu überwinden half.
In der gegenwärtigen Krise erkenne ich im Handeln unserer Regierung, unbedingt dafür einzutreten, dass es keine neuen zerstörerischen Verletzungen gibt. Ich schaue als Bürger dieses Landes sehr genau hin und Sie können sich darauf verlassen, dass gemeinsame Verantwortung Leitbild des Handelns bleiben muss! Dafür trete ich ein.
Leider heute, am 24. Februar 2022 dieser Einschub:
Sie haben die ‚gemeinsame Verantwortung‘ abgelehnt und eine ‚einsame‘ Entscheidung getroffen. Jetzt lassen Sie schießen und erschießen wie vor 83 Jahren. Damals johlten Menschen hysterisch Zustimmung – heute weinen und schreien Menschen ihren Widerstand. Bitte, hören Sie genau hin!
…. und heute, am 3. April 2022 dieser:
Ihre einsame Distanz bringt Ihnen diese furchtbaren Bilder von Zerstörung und Mord auf offener Straße nicht vor Augen. Ihnen sind auch die angstvoll geöffneten Augen hilfloser Menschen nicht gegenwärtig; die Schreie aus Wut und Verzweiflung erreichen Sie nicht. Mich erreichen sie!
Krieg ist ein Verbrechen und jeder, der diese unbeschreibbare Barbarei anrichten lässt oder selbst anrichtet, ist ein Verbrecher gegen die Menschlichkeit!
Ich bin aber sicher, dass Sie das alles ahnen und ich hoffe sehr, dass sich Ihnen die Sinne zur Wahrnehmung dieser Realität öffnen. Ich bitte Sie, machen Sie Frieden mit sich und für die, die sich danach sehnen!
Wir haben im Laufe politischer Entwicklung von bestehendem Misstrauen geleitet Bündnissen zugestimmt. Als politischer Mensch, in diesen Verhältnissen lebend, werde ich immer vertreten: Das russische Volk hat viel erleiden müssen, hat sich neu organisieren müssen und auch wir sind Teil dieser Entwicklung.
Unsere Dankbarkeit der russischen Föderation gegenüber, durch Sie als derzeitiger Präsident vertreten, wird es nicht ertragen, erneut in einem Angst-Szenario zu verharren. Deshalb hoffe ich auf beiderseitiges Entgegenkommen und Vertrauen in ein Miteinander. Das ist Voraussetzung, um in nachbarschaftlichem Respekt zu leben. Sie macht jeden Waffengang und andere abartige Interventionen überflüssig.
In unserer Geschichte gab es nach über lange Zeit genährter Feindschaft zwischen Frankreich und Deutschland einen ‚Freundschafts-Vertrag‘, der bis heute von jungen Menschen belebt wird.
Ich wünsche mir, dass einige schon bestehende Bemühungen
zwischen unseren Ländern in einen
großen freundschaftlichen Vertrag von Verlässlichkeit und Vertrauen
münden. Dankbarkeit verpflichtet dazu!
Mit freundlichen Grüßen an Sie!
Jan-Peter Wilckens
15. Februar 2022
ZUM THEMA DIESES BRIEFES
Kraft des Gesprächs