Das Kind stirbt nie

Von | 27. November 2020

IN SCHWIERIGER ZEIT
WAS UNS NICHT VERLOREN GEHT

Unwillig erzählt eine Mutter ihrem kleinen Jungen von Weihnachten. Sie will nichts mehr von diesem Fest wissen und hat es ihm bisher vorenthalten. Aber das Kind ist neugierig geworden. Also erzählt sie von den glitzernden Sternen am Tannenbaum und kramt zusammen, was sie von der Geschichte noch im Kopf hat.

Von dem kleinen Jesus und der Krippe, von den Hirten und dem Kaiser Augustus. „Das muss doch ein schönes Fest gewesen sein“, sagt der Junge. „Nein, sagt die Mutter. Alle hatten Angst davor und waren froh, wenn es vorüber war.“ Angst wovor? Dass große Erwartungen auch diesmal wieder enttäuscht würden? Dass ein neugeborenes Kind im Mittelpunkt des Festes stand, von dem man doch schon wissen konnte, dass es Schutz und viel Zuwendung braucht?

Alle Jahre wieder dieses Kind, das kindische Gefühle in erwachsenen Menschen weckt, Gefühle, für die sie aber vor und nach dem Fest keine Verwendung haben? Für die, sie glauben sich schämen zu müssen, wenn sie wieder im harten Alltag angekommen sind, in dem man sich durchsetzen und behaupten muss? Dieses Kind, ohne dessen Geschichte es das Fest nicht gäbe. Kein Heldenfest, kein Gedenken an einen Sieg oder ein großes Ereignis. Das Kind ist ein Symbol, das Symbol des Anfangs und des Anfangens.

Alle haben so angefangen: als sehr kleines Kind. Und alle sind, wenn sie denn groß werden konnten, aus ihm heraus gewachsen und können doch etwas von  diesem Kind in sich bewahren. Es erinnert daran,  wie bedürftig, wie angewiesen Menschen am Anfang sind – und dass sie es bleiben ihr Leben lang.  Angelegt auf Beziehung, Austausch, Nähe. Nie sich selbst genug. Aber immer wieder beschenkt mit der Möglichkeit, neu zu beginnen.

Marie Luise Kaschnitz, die Erzählerin der Geschichte von der Mutter und dem Jungen, hat auch das  Gedicht „Dezembernacht“ geschrieben. Eine kuriose Gesellschaft von Frauen und Männern bleibt an  einem Geräteschuppen in einem Feld stehen, in  dem ein Neugeborenes schreit, man schaut zu den Sternen auf und fragt sich: „Glänzt nicht einer besonders?“

Am Ende stellt die Dichterin die bange Frage: „Ist das Kind gestorben?“ und gibt die Antwort: „Das Kind stirbt nie.“

Klaus Eulenberger (),  Morgenandacht am 9. Dezember 2017

 

Als ich diese Morgenandacht hörte, konnten wir nicht einmal ahnen, was uns heute, drei Jahre später mit der ‚Corona-Pandemie‘ umtreibt.

Seit März fühlen wir uns wie in einer anderen Welt. Der Gedanke, dass ‚morgen‘ alles Gewohnte wieder hergestellt sein wird, war nie realistisch; jetzt aber bei steigenden Zahlen von Infizierten fühlen wir uns wie ausgeliefert.

So gehen wir in diese Zeit des Advent, die Zeit, die einmal als Fastenzeit zur inneren Vorbereitung auf das Weihnachtsfest galt. Heute für manche mit gemischten Gefühlen oder wie in der Erzählung: ‚Alle hatten Angst davor und waren froh, wenn es vorüber war‘.

Jetzt könnten wir auf die Leuchtkraft der Hoffnung schauen, die sich auch aus manchen überraschenden Erfahrungen der vergangenen Monate nährt.  Neun Monate wächst ein Kind im Mutterleib heran und die vergangenen neun Monate haben auch manches ‚Kind-Vertrauen‘ heranwachsen lassen.

 Zum Heranwachsen des ‚Kind-Vertrauens

MITTEN IN MIR
Ich schließe die Augen und atme Ruhe,
ich schließe den Mund und atme Schweigen,
ich schließe die Ohren und atme Stille.

Ich horche nach innen zur Mitte.
Ich hole mich ein.

Mitten in mir liegt, was ich suche:
Freude an dem, was ich bin,
Mut zu dem, was ich könnte,
Gedanken an alles, was war,
ein Lächeln für heute,
Hoffnung für morgen.
Mitten in mir lässt er sich finden:
Sinn für mein Leben.

Inge Müller
(Herkunft ist mir unbekannt)

Wenn wir jetzt Woche um Woche eine weitere Kerze entzünden, dann möchte der Raum des Ankommens hell werden und die Gewissheit aufleuchten: ‚Das Kind stirbt  nie!‘.  Uns allen einen vertrauensvollen Weg!

Im Advent 2020