Taizé, 5.Oktober 2011
STRUKTUR-WANDEL
Ich bin wieder in Taizé. Über lange Zeit ist Taizé in Frankreich für mich zu einer „Oase“ geworden. Vor 45 Jahren fuhr ich erstmals mit Jugendlichen in dieses Dorf im burgundischen Land. Ich kann in dieser Oase immer wieder neu mein Leben betrachten und erhalte aus Stille, Gebet und Begegnung Anstöße.
Ich bin wieder in Taizé. Die Bilder vom Besuch des Papstes (Anm: Benedict IV)in Deutschland ‚hängen’ noch an mir, natürlich auch die Enttäuschung, dass es wieder einmal keine Signale der ‚Einheit im Glauben’ gibt. Stattdessen feiert sich die Hierarchie einerseits oder lässt sich andererseits von der nicht ‚eingebundenen’ Hierarchie mehr oder weniger argwöhnisch betrachten.
Ein Buch habe ich mir mitgenommen. Ich habe es schon länger im Blick. Jetzt gewinnt es seinen Platz: ‚Gott 9.0’ * ist der Titel und die Assoziation zu Updates zu Computerprogrammen ist gewollt.
Ich entdecke die ‚Stufen meines spirituellen Weges’ und ich entdecke Gründe für eigene Hilflosigkeit angesichts von Strukturen, die die ‚Schönheit des Glaubens’ entstellen. Taizé ist für mich seit über 45 Jahren ein Ort der ‚Schönheit des Glaubens‘.
Strukturen haben zu dienen! Sie dienen der Entwicklung. So stellt Entwicklung Strukturen immer in Frage. Irgendwann haben sie ausgedient, um einer weiteren ‚Entwicklungs-Stufe’ Raum zu geben.
Verfestigte Strukturen schaffen Hierarchien und umgekehrt, die nur sich selbst dienen. Das wird besonders bei kirchlichen Strukturen deutlich! Menschen haben sich längst weiter entwickelt. Ihre Entwicklungsstufe entspricht nicht mehr den vorzufindenden Strukturen. Sie entfremden sich. ‚Ich glaube nicht mehr an Gott’, sagen sie und sie meinen den Abschied von einem bestimmten ‚Bild von Gott’, das einmal ‚passte’.
Entwicklung verändert Strukturen
Gleichzeitig treibt die ‚spirituelle Sehnsucht’. Auf solche Menschen treffe ich hier in Taizé. Ihre Suche trifft auf eine Struktur, die ihrem ‚Standort’ entspricht. Suchende treffen auf suchende Menschen und – einen suchenden Gott!
Wir werden hier mit einem Jesus in Berührung gebracht, der bewusst Strukturen in Frage stellte, sobald sie ohne Rücksicht auf menschliche Situation und Entwicklung ausgelegt und als Instrumente der Herrschaft missbraucht wurden. Wir begegnen einem Jesus, für den Glaube mehr ist als religiöses Pflicht-Programm.
In dem genannten Buch lese ich sinngemäß: Der ‚hierarchische Gott’ ist arbeitslos geworden und ein verändertes Bewusstsein will ihn nicht wieder einstellen.
Schon der bekannte Dichter Gerhard Tersteegen (1697-1769) dokumentiert eine neue Gottes-Präsenz, die sich von jeder bevormundenden Hierarchie distanziert.
Luft, die alles füllet, drin wir immer schweben, aller Dinge Grund und Leben, Meer ohn Grund und Ende, Wunder aller Wunder: Ich senk mich in dich hinunter. Ich in dir, du in mir …
Diese gestaltende und befreiende Kraft in ihrem Leben bekennen viele Menschen, weil sie nicht ausgrenzt, sondern Entwicklung in Richtung Selbsterkenntnis will.
Jesus selbst stellt solche Entwicklung in einem Gleichnis heraus: Ein in der Hierarchie Verpflichteter betont seine untadelige Haltung vor Gott, indem er sich abgrenzt und andere ausgrenzt. Damit entspricht er hierarchischer ‚Ordnung’. Ein anderer, der wegen seiner Lebensumstände außerhalb solcher Hierarchie bleiben (muss), versenkt sich in Gott – ich in dir, du in mir – und kommt zur Erkenntnis seiner Sehnsucht: ‚Gott bleibe mir nah’, ist seine Bitte. Jesus schließt dieses Gleichnis mit der Bemerkung, dass ‚dieser’ sich weiter entwickelt habe und das würde zählen.
Einigen, die von ihrer eigenen Gerechtigkeit überzeugt waren und die anderen verachteten, erzählte Jesus dieses Beispiel:
Zwei Männer gingen zum Tempel hinauf, um zu beten; der eine war ein Pharisäer, der andere ein Zöllner.
Der Pharisäer stellte sich hin und sprach leise dieses Gebet: Gott, ich danke dir, dass ich nicht wie die anderen Menschen bin, die Räuber, Betrüger, Ehebrecher oder auch wie dieser Zöllner dort.
Ich faste zweimal in der Woche und gebe dem Tempel den zehnten Teil meines ganzen Einkommens.
Der Zöllner aber blieb ganz hinten stehen und wagte nicht einmal, seine Augen zum Himmel zu erheben, sondern schlug sich an die Brust und betete: Gott, sei mir Sünder gnädig!
Ich sage euch: Dieser kehrte als Gerechter nach Hause zurück, der andere nicht. Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, wer sich aber selbst erniedrigt, wird erhöht werden.
Lukas-Evangelium 18,9-14
Ich grüße Euch herzlich!
* ‚GOTT 9.0. Wohin unsere Gesellschaft spirituell wachsen wird‘.´Marion u. Werner Tiki Küstenmacher,
Gütersloher Verlagshaus.
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