Mama spricht: ‚Fehlt dir was?‘
Gott spricht: Ich will euch trösten,
wie einen seine Mutter tröstet.
Jesaja 66,13
Leit-Wort des Jahres 2016
Wie eigentlich tröstet eine Mutter? Wir haben es als Kinder erlebt oder wir werden Zeuge, wie das geht.
Ein Kind fällt und verletzt sich. Blut läuft am verletzten Bein. Kurze Stille im Erschrecken. Dann die Schmerz-Schreie. Die Mutter beugt sich herab, legt vielleicht ein Taschentuch auf die Wunde. Vor allem aber nimmt sie das Kind in den Arm und spricht beruhigende Worte. Das laute Weinen verliert sich in leisem Wimmern. Dann schauen beide auf die Wunde. ‚Geht es wieder?’ Das Kind nickt mit leisem Schluchzen.
Taschentuch-Baum
Schmerz macht zunächst einsam. ‚Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen’, schreit der gequälte Jesus am Folterkreuz. Einsamkeit im Schmerz verlangt nach Nähe; sie lindert den Schmerz. Die Mutter sieht die Wunde, spürt aber gleichzeitig die tiefer liegende Verletzung, aus der Geborgenheit ‚herausgekippt’ zu sein. Sie nimmt in den Arm und so geschieht Heilung im Trösten. Die tiefer liegenden Verletzungen bedürfen solcher Tröstung.
Die brüchige ‚Ordnung’ verlässlicher Geborgenheit wird wieder hergestellt. Das geschieht in der Solidarität erlebter Brüchigkeit. Da sind Mütter die privilegierten Trösterinnen. Sie hatten mit der Geburt ihres Kindes unmittelbar Teil an der grundlegenden Veränderung bergender Nähe, als die Nabelschnur durchtrennt wurde. Mütter kennen die Not der ‚Trennung’. Sie trösten über solchen Schmerz ‚hinweg’, weil sie selbst diesen Weg gehen mussten. Das ist ihre authentische Trost-Kompetenz.
Wenn die Mutter einfühlsam fragt: ‚Fehlt dir was?’, weiß sie um die Tiefe der Verletzung.So hat mütterlicher Trost immer unmittelbare Wirkung. Der Ruf nach ‚Mama’ liegt eher auf dem Herzen als der nach irgendeinem anderen ‚Adressaten’, weil hier unmittelbarer Trost garantiert ist.
So will ‚Gott‘ trösten. Die Propheten, die ‚Sprecher Gottes’ vermitteln uns, dass Gott um seinen und unseren Schmerz der Trennung weiß. Der Prophet Hosea formuliert es so: Das Herz dreht sich in mir um, wenn ich sehe, wie du dich quälst. Mich packt das Mitleid mit dir! Ich bringe euch wieder in die Heimat! (Hosea 11,8)
Das ist das Geheimnis des Trostes im Gebet. Die alten Gebete in den Psalmen bilden ihn als Prozess ab: Sie beschreiben die Verletzung; sie bringen die Schmerzschreie aus der Verlas-senheit in Sprache; sie finden im ‚Aber‘ – ‚… ich aber halte (mich) fest an ‚Gott‘ … – Trost aus der Gewissheit der Verbundenheit mit ‚Gott‘.
‚Wer in der Trostlosigkeit den Boden unter den Füßen verliert, sehnt sich nach einem, der ihm beisteht und ihm durch sein Stehen wieder Stehvermögen vermittelt, der ihm Festigkeit verleiht’, formuliert Anselm Grün *
‚Die menschliche Existenz ist und bleibt verletzlich, und niemand kann uns sagen, wohin die Reise führt. Wir wissen nur, dass wir an Schmerz, Verlust, inneren Spaltungen, Enttäuschungen, Trauer und schließlich Tod nicht vorbeikommen. Die Trauer um einen geliebten Menschen, um verlorene Lebensträume, um verpasste Chancen, um das ungelebte Leben tut weh – aber sie führt auch in den tiefsten Grund der Seele, wo der Mensch mit neuen Möglichkeiten des Lebens in Berührung kommt.‘ *
Wesentlicher Aspekt des Tröstens ist der Körperkontakt. Über die körperliche, liebevolle Zuwendung werden die körpereigenen Hormone ‚Cortison‘ und ‚Adrenalin‘ zur günstigen Steuerung beeinflusst.
Das Gebet ist keine Flucht in den Rückzug. Es ist Ort des ‚tiefsten Grundes der Seele‘, wo wir ‚getröstet‘ werden, wir wieder in den großen heilenden Zusammenhang gestellt werden. Aus dem Schmerz formulierte sich das ‚Ich bin untröstlich‘ – aus dem Trost sie Gewissheit: ‚Ich bin wieder ‚ganz‘ hergestellt und erkenne neue Möglichkeiten‘. Es geht wieder!
* Publik-Forum EXTRA ‚Du bist nicht allein’. Trauern und trösten Ausgabe 5/09. www.publik-forum-extra.de