Prägung (be)achten

Von | 6. Juni 2021

Weiche in Richtung
respektvoller  Augenhöhe gestellt
.

Die jüngsten militärischen Übergriffe in Israel und Palästina sind schon fast ins Vergessen geraten. In Erinnerung allerdings bleiben Proteste in Israel, in Palästina, in europäischen Staaten auf der Straße gegen diese Form von Gewalt, um unterschiedlich beschriebene Ziele zu erreichen.

Die immer wieder genannte Vorstellung in Richtung konstruktiver Lösung, eine ‚Zwei-Staaten-Existenz‘ anzustreben, ist nicht neu, nach der erlebten Eskalation mehr als verständlich. Schließlich ist Tatsache, dass die Menschen, die in unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen mit jeweils eigener Identität auf gleichem Territorium nicht erst ’seit gestern‘ leben! Inzwischen hat sich sich in Israel nach Wahlen eine neue Regierung gebildet , die einige Hoffnungszeichen in Richtung ‚Augenhöhe‘ setzt. Es ist tatsächlich gelungen, die unterschiedlichsten Gruppierungen unter ‚ein Dach‘ zu holen. Die bisherige Regierung sitzt in der Opposition.

Ich habe lange Zeit in der Beratung und Begleitung von Menschen gearbeitet, die in ihrer Identität Brüche erlebten. Diese lagen in ihrer Lebensgeschichte weit zurück und dennoch blieben sie prägend. Sie werden jedenfalls immer wieder angeführt, um zu begründen, weshalb die Lebensperspektive so wenig Erfolg verspricht. Diese Begründungsstrategie betreibt Stillstand. Die Prägung als solche kann nicht zur Disposition stehen. Sie ist Fakt.

Das gilt für manche prägenden Ereignisse im Leben, die sich in ein destruktives Gefüge von Reiz und Reaktion begeben. Für die eigene Reifung aber ist es von größter Bedeutung, sich mit der eigenen Prägung konstruktiv auseinanderzusetzen und die eigenen Gestaltungsmöglichkeiten zu entdecken, ohne in die alte Polarisation zurück zu fallen: ‚Wenn meine Eltern damals ………. würde ich heute nicht diese Probleme haben‚.

Manche werden solche Erfahrungen  nachvollziehen können. Es lohnt sich, die Kraft von Prägungs-Erfahrungen auch in den israelisch-palästinensischen Konflikt hinein zu denken, die eine wesentliche Rolle in den Auseinander-setzungen seit mindestens 1947 spielt.


Der aktuelle Konflikt in der Region geht insbesondere auf die Auseinandersetzungen zwischen arabischen und jüdischen Nationalbewegungen, aber auch schon vor die britische Mandatszeit zurück. Die sich hauptsächlich aufgrund der anhaltenden Verfolgung von Juden konkretisierende zionistische Bewegung verursachte große jüdische Einwanderungswellen (Alija), die zum Ziel hatten, endlich die jahrhundertelange Diaspora in Palästina zu beenden. Dies führte jedoch zu einem immer stärker werdenden Konflikt zwischen Arabern und Juden in der Region, die beide Palästina als ihre rechtmäßige Heimstätte ansahen.

Eckpunkte des Konflikts sind der gescheiterte UN-Teilungsplan von 1947, der Palästinakrieg 1948 und ein sich daraus ergebendes Flüchtlingsproblem sowohl auf arabischer als auch auf jüdischer Seite (vgl. Palästinensisches Flüchtlingsproblem). Rund 750.000 Juden wurden aus arabischen Staaten vertrieben und überwiegend zu israelischen Staatsbürgern, während eine ähnliche Zahl palästinensischer Araber aus Israel / Palästina vertrieben wurde und in umliegende arabische Staaten flüchtete. Ihre mittlerweile ca. 5 Millionen registrierten Nachfahren leben heute größtenteils, da ihnen eine Staatsbürgerschaft verwehrt wird, als Staatenlose in Jordanien, dem Libanon und Syrien, ein Drittel davon in offiziellen Flüchtlingslagern.[3]

Es folgten 1967 der Sechs-Tage-Krieg, 1973 der Jom-Kippur-Krieg, die Herausbildung eines palästinensischen Nationalbewusstseins vor allem durch die Gründung der PLO, die 1974 von den Vereinten Nationen offiziell als „Repräsentantin des palästinensischen Volkes“ anerkannt wurde[4] sowie die Einrichtung der völkerrechtlich bis heute nicht als Staat anerkannten Palästinensischen Autonomiegebiete. Aus dem diplomatischen und bewaffneten Streben der Palästinenser nach einem Nationalstaat, wie er ihnen im UN-Teilungsplan zugesprochen wurde, resultierte der bis heute andauernde Konflikt mit Israel. Dabei streben palästinensische Organisationen unterschiedliche Ziele an. Die Fatah als stärkste Fraktion der PLO strebt eine Zwei-Staaten-Lösung an, radikal-islamische Terror-Organisationen, wie z. B. die Hamas hingegen die Zerstörung Israels und einen palästinensischen oder panarabischen Staat, der sich mindestens über das heutige Israel, den Gazastreifen und das Westjordanland erstrecken soll. (Wikipedia)


Zweimal waren meine Frau und ich mit einer Gruppe in Israel und wir hatten Gelegenheit, die Vielgestaltigkeit von unterschiedlich Menschen und ihren Lebensbedingungen zu erkennen  und zu erleben. Wir haben die aufgerichteten Mauern und die mit Stacheldraht versehenen Grenzbefestigungen zwischen Israel und palästinensischem  Hoheits-Gebiet ‚erfahren‘. Wir konnten sie als deutsche Besucher relativ leicht für kurze Zeit passieren. Die Not auf der einen und das Misstrauen auf beiden Seiten waren unmittelbar zu erleben.

Der Kontakt zu einer Pädagogin aus einem Museum im Norden Galiläas war für mich besonders beeindruckend. Sie berichtete von Friedensinitiativen im Bereich der Museums-Arbeit, die im wesentlichen darin bestand, dass jugendliche Israelis und muslimische Pastinänser miteinander ins Gespräch kamen. Die unterschiedlichen Prägungen und die Gemeinsamkeit in diesen kamen auf den Tisch.

Bewegt und bewegend schilderte die Pädagogin von Wutausbrüchen und fast gleichzeitig fließenden Tränen. Die jungen Israelis konnten von bis in jüngste Zeit reichenden Diffamierungen und Vertreibungen erzählen; die jungen palästinensischen Muslime erzählten von ebenfalls erlebten Diffamierungen und vom Leben in Flüchtlingslagern, die sie zuwie  Ausgesetzte machten.

Sie erkannten gegenseitig  ähnliche Prägungen in den Biografien. Die gegenseitigen Schuldzuweisungen nahmen im Laufe dieser Zeit der Begegnung ab und Gemeinsamkeiten traten in den Vordergrund. Eher wurde  Unterschiedlichkeit als ‚Schatz‘ entdeckt. Es sei in gutem Sinne zu einer ‚Leidens-Solidarität‘ gekommen.

Wenn heute eine neue Regierung versucht, gemeinsame Wege zu entdecken, Verschiedenartigkeit als Chance zu begreifen lernt und aus einer ‚Leidens-Solidarität‘ eine Hoffnungs-Solidarität sich entwickeln lässt, könnte  neue Augenhöhe ohne Polarisierung gestaltende Kraft sein.

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