Religiosität ist Teil von Identität
… Im Alter kommt sie wieder, und ich blicke auf die vergessene Religiosität meiner Kindheit zurück wie auf einen verwilderten Garten. Und ich finde doch irgendwie schön, dass sie da ist. Ich kenne mich auch in der Bibel gut aus. Und es fällt mir nicht so schwer, meine metaphysischen Bedürfnisse zu entdecken. ……
Die Gefahr ist doch, dass wir im Turbokapitalismus unsere Heilung nur noch im Konsum suchen. Und dass uns jede metaphysische Erdung fehlt. Durch die vielen Migranten kommt viel Religion ins Land, auch wenn die ihre Gemeinden eher in den Gewerbegebieten haben. Aber es sind an die fünfzig verschiedene Religionen. Und für all diese entwurzelten Menschen spielt ihre Religion eine ganz wesentliche Rolle, damit sie überhaupt noch ein Gefühl von Identität und Gemeinschaft haben. Das provoziert natürlich, bewusst und vor allem unbewusst.
Dass die etwas mitbringen, was wir nicht mehr haben – das macht, glaube ich, viele wütend. Ich denke, ein Abfallprodukt des Kapitalismus ist eine Lebensmüdigkeit. Aber nur Konsument zu sein, reicht nicht aus, um 70, 80 Jahre sein Leben gern zu leben. Und was es heißt, am Leben zu hängen und um sein Leben zu kämpfen, das zeigt uns jeder Migrant, der unglaubliche Schwierigkeiten auf sich nimmt, um sein Leben hierher zu retten.
Aus einem Interview mit dem Schauspieler Edgar Selge, der als Darsteller drei Stunden in dem Schauspiel ‚Unterwerfung‘ allein auf der Bühne steht.
‚Wie hältst du’s mit der Blasphemie?‘
Regula Venske
beendet einen über NDR KULTUR gesendeten Beitrag so:
…. und im Übrigen, das sei abschließend noch erwähnt, bedeutet die Kritik an vorhandenen Gesetzen und die Forderung nach Aufhebung sämtlicher Gesetze, die ‚Blasphemie‘ kriminalisieren, wie jüngst von PEN International vorgebracht, ja keineswegs im Umkehrschluss einen Freibrief oder gar die Aufforderung, die Mitmenschen nun fröhlich zu beleidigen und die Gefühle Andersdenkender und Andersgläubiger nicht zu respektieren. Im Gegenteil, die Freiheit der Meinungsäußerung, die Freiheit der Kunst, gehen wie alle Freiheit immer auch mit Verantwortung einher. Es gilt, beides auszuhalten: die Verantwortung und die Freiheit.
Regula Venske ist freie Schriftstellerin und seit April 2017 Präsidentin des deutschen PEN