Schule des Herzens

Von | 31. Mai 2014

BETEN – SCHULE DES HERZENS

Dankbar für geglückte Halbheit

REGELN FÜR EIN EHRBARES HANDWERK

Der Mensch besteht nicht nur aus seiner eigenen Innerlichkeit und seinen guten Absichten. Die Innerlichkeit, die nur sich selber kennt, wird bald ermatten. Wie macht man sich deutlich und langfristig in seinen Absichten? Wie betreibt man das Handwerk des Gebets? Denn Gebet ist Handwerk. Es besteht nicht aus der Genialität religiöser Sonderbegabungen. Man kann dies Handwerk lernen, wie man kochen und nähen lernen kann. Aber jedes Handwerk kennt Regeln, und man hat nur Erfolg, wenn man die Regeln kennt und sich an sie hält. Regeln und Methoden reinigen uns von der Zufälligkeit des Augenblicks und machen uns langfristig. Ich nenne einige bescheidene Regeln, die uns zur religiösen Aufmerksamkeit verhelfen können.   MohnKappe

Gebet ‚entfaltet‘

1. Manchmal nehmen sich Menschen zu viel vor, wenn sie sich zum Gebet entschließen. Eine alte und verblüffende Aufforderung heißt: Dein Gebet sei kurz! Man soll besonders am Anfang kleine Schritte gehen: einem Psalm am Morgen eine ruhige Zeit lassen, vielleicht auch nur einem Psalmvers. Wenn er dem Herzen noch fremd ist, kann man ihn vielleicht schon sprechen wie eine Fremdsprache.
DARAUS DIE REGEL: Entschließe dich zu einem bescheidenen Vorhaben auf dem Weg des Gebets! Es gibt das Problem der Selbstentmutigung durch zu große Vorhaben.

2. Das Gebet ist eine Rede ins Schweigen. Dass Gott hört und antwortet, kann man theologisch sagen. Aber in der erfahrbaren Realität hört und antwortet niemand. In einer solchen Gesprächssituation, die zumindest in der ersten Realität keine ist, werden die Betenden auf sich selbst zurückgeworfen. Man beobachtet und beachtet sich selber zu sehr, und das ist anstrengend für jedes Gespräch, auch für das Gespräch mit Gott. DARAUS DIE REGEL: Sei nicht gewaltsam mit dir selbst! Kümmere dich nicht darum, ob du auch wirklich andächtig bist. Bete und überlass die Ganzheit deines Gebetes Gott!

3. Das  Gebet lässt sich nicht von seinem Nutzen her verstehen. Es ist die köstlichste Nutzlosigkeit, die wir haben. Alles aber, was eine unmittelbare Effizienz hat, lässt sich leichter rechtfertigen und drängt sich in den Vordergrund. Mit sich selber eine feste Gebetszeit ausmachen rettet uns vor der Übermacht der ‚Geschäfte‘.
DARAUS DIE REGEL:  Gib dem Gebet eine feste Zeit. Bete nicht nur, wenn es dir danach zumute ist, sondern wenn es Zeit dazu ist. 

4. Es gibt Äußerlichkeiten, die an unserer Innerlichkeit bauen. Eine solche wichtige Nebensächlichkeit ist der Ort unserer regelmäßigen Gebete. Der regelmäßig aufgesuchte Ort gewinnt eine Stimme. Er sagt: Hier ist die Stelle deines Gebetes, bete! Der Mensch ist nicht nur Seele, er ist Leib. Er ist nicht nur seine eigene Innerlichkeit, er ist auch sein Äußeres.
DARAUS DIE REGEL: Gib deinem Gebet einen festen Ort! Der Ort hilft dem Geist, zu sich selber zu finden.

5. Manche meinen, sie seien besonders ehrlich, wenn sie nur aus dem authentischen Augenblick heraus beten. Aber Stimmungen und Augenblicks-Bedürfnisse sind zwielichtig. Von ihnen kann man sich nicht abhängig machen.
DARAUS DIE REGEL: Sei streng mit dir selber! Mache deine Gestimmtheit und deine Augenblicksbedürfnisse oder deine augenblickliche Unlust nicht zum Maßstab deines Handelns!

6. Was man regelmäßig tut, tut man selten mit ganzem Herzen. Im Alltag gelingt uns meistens nur das halbe Herz. und das ist viel.
DARAUS DIE REGEL: Sei nicht auf Erfüllung aus, sei vielmehr dankbar für die geglückte Halbheit! Gib nicht auf, nur weil dein Gebet nur halb gut ist!

7. Im Augenblick ist  ,Erfahrung’ ein Zauberwort. Die Augenblicks-Erfahrung scheint eine Sache zu rechtfertigen, und wenn diese ausbleibt, scheint die Sache selber wenig wert zu sein. Gebet aber ist Arbeit, manchmal schön und erfüllend, oft langweilig und trocken.
DARAUS DIE REGEL: Rechne nicht damit, dass dein Gebet ein Seelenbad ist. Das Gefühl innerer Erfülltheit rechtfertigt das Beten nicht, das Gefühl innerer Leere verurteilt es nicht.

8. Immer wieder kommt es vor, dass Menschen mit ihren besten Vorsätzen scheitern. Sie vergessen für Tage ihre Gebete oder brechen nach drei Monaten die Abmachungen mit sich selbst. Aber drei Monate haben sie immerhin gebetet, und das ist nicht nichts.
DARAUS DIE REGEL: Verliere über deinem Misslingen den Humor dir selbst gegenüber nicht! Auch die Niederlage ist unsere Schwester und nicht unser Todfeind.

9. Das tägliche Gebet verlangt eine gewisse Geläufigkeit. Ehe man anfängt, muss man wissen, was man tut und wie der Ablauf ist. Man kann etwa mit einer Eröffnungsformel beginnen (,Herr, öffne meine Lippen!’), vielleicht folgt dann der Psalm, eine kurze Lesung, eine Zeit der Ruhe, in der ich die Bilder des Psalms bei mir verweilen lasse. Vielleicht folgt das Vaterunser und wiederum eine Schlussformel.
DARAUS DIE REGEL: Fang bei deinem Versuch nicht irgendwie an! Baue dir eine kleine Liturgie, die dir geläufig ist und die dich vor unnötigen und Kräfte verzehrenden Entscheidungen bewahrt.

10. Wenn ich einen Psalm oder ein anderes Gebet bete, ist dies kein Nachdenken. Es ist eine Stelle hoher Passivität. Man ist Gastgeber der Bilder eines Psalms und lässt sie behutsam bei sich verweilen. Beten heißt sich ergeben. Man will nichts erjagen, beabsichtigen oder erfassen. Sich nicht wehren und nicht besitzen wollen ist die hohe Kunst eines meditativen Verhaltens.
DARAUS DIE REGEL: Setze den Texten und Bildern nichts entgegen. Versuche sie nicht zu füllen mit deiner gläubigen Existenz! Überliefere dich ihrer Kraft und lass dich von ihnen ziehen!

11. Unsere überlieferten Gebete, die Psalmen, das Vaterunser, sind immer besser, als sie sind, weil unsere Toten sie uns vorgewärmt haben mit ihrem Glauben und mit ihrer Hoffnung. Die Psalmen waren auch die Gebete von Dietrich Bonhoeffer, von Martin Luther King, von Teresa von Aviia und Hildegard von Bingen. Beim Beten berge ich mich in dem Glauben unserer Toten.
DARAUS DIE REGEL: Erinnere dich daran, dass die Psalmen das Gottesgespräch unserer Toten sind! Erinnere dich daran, dass du nicht Erster bist, sondern eintrittst in ihren Jubel und in ihren Schrei!

12. Es gibt Niederlagen, die einem die Sprache verschlagen, manchmal auch die Gebetssprache. Vielleicht hat man dann noch einen Psalmvers zur Hand, den man mehr mit der Zunge als mit dem Herzen spricht. Dieser Vers ist wie ein Balken, den man nach einem Schiffbruch gerettet hat und an den man sich klammert.
DARAUS DIE REGEL: Lerne kurze Formeln aus dem Gebets- und Bildschatz der Tradition auswendig! Wir verantworten ihren Inhalt nicht. Wir sprechen sie mit den Zungen unserer toten und lebenden Geschwister.

13. Die Gebete leben vom Schweigen, und manchmal enden sie und vollenden sie sich im Schweigen ‚Alles in uns schweige’, heißt es im Lied von Tersteegen.  Es kommt also niemals auf die Quantität der Gebete an, sondern auf die Ruhe und die Langsamkeit, die wir für sie aufbringen. DARAUS DIE REGEL: Haste nicht beim Gebet! Bete kurz, langsam, in so viel Ruhe, wie du aufbringen kannst! Und wenn dir das Schweigen ohne innere Unruhe gelingt, ehre es!

14. Der äußere Lärm, wenn er nicht zu groß ist, muss  das Schweigen nicht unbedingt stören.
DARAUS DIE REGEL: Bete mit Humor deine Gebete in das Geschrei deiner Kinder und in das Rattern des Zuges, der gerade vorüber fährt. Vielleicht machst du damit auch Lärm zu einem Gebet.

15. Alles, was wir tun, ist Stückwerk, auch das Gebet. Man kann in Heiterkeit Fragment sein, auch im Gebet, wenn man weiß. dass der Geist Gottes sich in unser Gebete einschreibt. Wir sind besetzt von einer Stimme, die mehr Sprache hat als wir selber.
DARAUS DIE REGEL: Erinnere dich ständig an den Satz aus dem Römerbrief (8, 26): Der Geist hilft unserer Schwachheit auf. Denn wir wissen nicht, wie wir beten sollen, wie sich’s gebührt. Der Geist tritt für uns ein mit unaussprechlichem Seufzen.  

Fulbert Steffensky ist Theologe und Schriftsteller. Er lebt in der Schweiz. Entnommen aus Publik Forum Extra 3/2006