IM ‚FRUST‘
DIE QUELLE DES SINNS ENTDECKEN
Am Anfang steht eine ‚frustrierende‘ Erfahrung. Eine Vorstellung, ein Vorhaben erfüllen sich nicht. Jede ‚Notlage‘ ist eine Frustration und immer werden (Überlebens-)Energien freigesetzt, die wir ‚Aggression‘ nennen.
Nach dem Wort-Ursprung handelt es sich um innere Bewegungs-Energie, die wir auch als Motivation bezeichnen (ad(g)-gredi = an eine Sache herangehen).
Die ‚Kanalisation‘ dieser Energien ist unterschiedlich.
Sie können sich destruktiv, auto-aggressiv oder konstruktiv auswirken.
– destruktiv: …….Energien werden gegen andere eingesetzt.
– auto-aggressiv:.Energien sind gegen sich selbst gerichtet.
– konstruktiv: ….. Energien werden konstruktiv gestaltend
genutzt.
Wesentlicher Aspekt konstruktiver Bewältigung
Die Energien werden gleichsam wieder in die sie auslösende Situation geführt,
– um die Situation selbst zu verändern oder
– sich selbst in der Situation zu verändern. Dieser Prozess wird auch ‚Umdeutung‘ genannt.
Ein Hinweis von Anselm Grün zum ‚Umdeuten‘:
Immer deuten wir Ereignisse unseres Lebens, indem wir Deutungen unserer Umwelt übernehmen. Auch die Bilder aus der christlichen Tradition übernehmen diese Funktion und fragen uns zum Beispiel: ‚Wenn das Wort aus dem 23. Psalm stimmt – ‚Der Herr ist dein Hirte, nichts wird mir fehlen‘ – was bedeutet das dann für meine Erfahrung von Einsamkeit und Enttäuschung? Das Modell des Glaubens als Umdeuten bezieht die Worte der Schrift auf meine konkrete Lebens-Situation‘.
Umdeutung ist der spirituelle Weg zur Stärkung der Selbstbestimmung, der Beziehungsfähigkeit und der Hoffnungsfähigkeit. ‚Umdeutung‘ kann zu einer neuen Erfahrung von Ganzheit führen.
Seelsorgerliche Begleitung heißt, Menschen zu unterstützen, resignative Kräfte in konstruktive zu ‚verwandeln‘, um Handlungsfähigkeit zu erhalten oder zu gewinnen.
Ich schließe die obige Darstellung mit einem anderen Bild.
Viele kennen dieses Experiment aus der Physik. Abfälle vom Bohren und Fräsen aus einer Metallwerkstatt liegen auf einem Papier ausgestreut.
Wenn wir unter das Papier einen Magneten schieben, ordnet sich diese Masse von willkürlich daliegenden Teilen zu einem Bild des Magnet-Feldes.
Bilder, Sprache, Umdeutungen, spirituelle Begleitung und Austausch können so etwas wie ein Magnet sein, der in das ‚Undurchsichtige‘ und die Ungereimtheiten unseres Lebens eine ’neue Sicht‘ bringt.
In einem bildhaften Text aus der Bibel möchte ich die Schritte seelsorgerlicher Begleitung verdeutlichen.
Gleich darauf drängte Jesus die Jünger, ins Boot zu steigen (1) und ans andere Seeufer vorauszufahren. Er selbst wollte erst noch die Menschenmenge verabschieden.
Als er damit fertig war, stieg er allein auf einen Berg, um zu beten. Als es dunkel wurde, war er immer noch dort. Das Boot mit den Jüngern war inzwischen weit draußen auf dem See. Der Wind trieb ihnen die Wellen entgegen und machte ihnen schwer zu schaffen. (2)
Im letzten Viertel der Nacht kam Jesus auf dem Wasser zu ihnen. Als die Jünger ihn auf dem Wasser gehen sahen, erschraken sie und sagten: „Ein Gespenst!“ und schrien vor Angst. Sofort sprach Jesus sie an: „Fasst Mut! Ich bin’s, fürchtet euch nicht!“ (3)
Da sagte Petrus: „Herr, wenn du es bist, dann befiehl mir, auf dem Wasser zu dir zu kommen!“ (4) „Komm!“ sagte Jesus. Petrus stieg aus dem Boot (5), ging über das Wasser und kam zu Jesus. (6)
Als er dann aber die hohen Wellen sah, bekam er Angst. Er begann zu sinken und schrie: „Hilf mir, Herr!“ Sofort streckte Jesus seine Hand aus, fasste Petrus und sagte: „Du hast zuwenig Vertrauen! Warum hast du gezweifelt?“ (7) Dann stiegen beide ins Boot, und der Wind legte sich (8).
Matthäus-Evangelium 14,22-32
Diese Erzählung ist für mich Bild unserer psychodynamischen Struktur. Das Schiff steht für Lebensrealität (ICH), der See, die Wellen, der Wind für die nicht kontrollierbare Dynamik (ES) und der auf dem See wandelnde Jesus für die vertrauende Instanz (ÜBERICH). Das Über-Ich ist ja in unserer Erfahrung meist die reglementierende und strafende Instanz. Das Über-Ich ist aber ebenso Ort unserer spirituellen Wahrnehmung.
Aspekte seelsorgerlicher Begleitung:
(1) Hinaus ins Leben!: ‚ … drängte, ins Boot zu steigen ….‘
(2) Erkennen der Not: ‚…. machte ihnen schwer zu schaffen…‘
(3) Entdecken der verlässlichen Kräfte: ‚…ich bin es …..‘
(4) ‚Umdeutung‘ der Angst in Vertrauen: ‚ …. wenn du es bist …‘
(5) Schritte zur Veränderung: ‚…stieg aus dem Boot…‘
(6) Überwindung der Angst: ‚ …. ging über das Wasser ….‘
(7) Vergewisserung des Vertrauens: ‚… ergriff ihn bei der Hand ….‘
(8) Erfahrung von Ganzheit: ‚ …dann stiegen beide ins Boot…“
Erfahrung in ’stillem Gewässer‘ für die Herausforderungen
Eigene Erfahrungen in einen ‚höheren Zusammenhang‘ gestellt zu sehen, erhöht die innere Stabilität. Die Geschichten der Bibel können einen solchen ‚höheren Zusammenhang‘ darstellen. In Bildern und Sprache drücken sie eine die Zeiten überdauernde Erfahrung von Generationen Menschen vor uns aus. Das ist bestätigend und stützend zugleich und schafft Vertrauen in neue Möglichkeiten.
Solche Erfahrung hier so ausgedrückt:
Ich spüre,
dass ganz tief in mir,
im Kern meiner Existenz
eine Kraft ist,
die es unnötig macht,
mich mit anderen zu vergleichen,
eine Kraft,
die mich ermutigt,
Verkümmertes zu entwickeln,
eine Kraft,
die mich freuen lässt
an dem, was erreicht ist,
eine Kraft,
die mich einsehen lässt,
wo meine Grenzen sind,
eine Kraft,
die mich ja sagen lässt,
ja zu mir, so wie ich bin.
Ich will mich ihr nähern,
dieser geheimnisvollen Kraft.
Ich nenne sie Gott.
Aus „Wurzeln spüren, Neues wagen“ – Max Feigenwinter
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