24. Dezember 2016
Als ich diesen Text verfasste, war der mörderische Terroranschlag auf Besucher eines Weihnachtsmarktes in Berlin noch nicht geschehen. Durch dieses furchtbare Ereignis, das auch stellvertretend für viele Grausamkeiten steht, die Menschen an Menschen tun, wird einmal mehr deutlich, wie sehr wir einer ‚Sehnsuchts-Kultur‘ bedürfen. Der geschilderten Sehnsucht Raum geben und ihr durch soziale Gerechtigkeit sowie gelebter weltweiter Geschwisterlichkeit hier und da Zeichen der Erfüllung schaffen.
SEHNSUCHT HEIL(IG)T
‚Alle Jahre wieder ist kein Credo, das die Baumschmuck-Branche zu Weihnachten gerne hört. Sie wirft Jahr für Jahr neue Deko-Trends auf den Markt. Aber die ganz alten Traditionen liegen im Trend’.
So lese ich in einer Zeitung. Die Sehnsucht nach Vertrautem ist heute im Kontext von zunehmender Herausforderung durch Globalisierung noch aktueller.
Das Vertraute und Bergende scheint in Gefahr und die Rückkehr nach vertrauten Ritualen ist wie eine Reaktion darauf zu verstehen. Vordergründig verständlich, hintergründig aufschlussreich.
Die allergisch anmutenden Reaktionen auf die gegenwärtigen Veränderungen in unserer Gesellschaft sind hintergründig auch so zu deuten: Eine tief sitzende Angst wird belebt, die diffuse Angst, ‚heimatlos’ zu werden, dem ‚Fremden’ ausgeliefert zu sein.
Bekanntem kann ich vertrauen. Wenn Misstrauen zunimmt, wird die Tendenz, ‚Altbekanntes’ ins Leben zurückzuholen, stärker.
Was eigentlich ist ‚Vertrautes’? Das Vertrauteste ist die Sehnsucht nach Gott. In dieser Bindung vereinen sich Liebe und Freiheit. Viele Sehnsüchte sind so ausgerichtet. Hinter den meisten leidenschaft-lichen Wünschen ist die Sehnsucht nach Glück, nach Liebe, nach Geborgenheit, nach Gelingen des Lebens, nach Heimat, nach dem Paradies, ja letztlich nach Gott zu entdecken.
Paul Zulehner, Wiener Pastoraltheologe, nennt die Sehnsucht ‚die vergessene Spur Gottes in unserem Herzen’.
Diese Sehnsucht wird in den Verletzungen und ‚Brüchen’ unseres Lebens besonders spürbar. In einer Predigt habe ich erfahren, dass die ‚Risse’ in unserem Leben ‚heilige Zonen’ sind. Hier hat die Sehnsucht ihren Ort und hier wird Heilung erfahrbar.
Zerrissenheit ist Sehnsuchts-Quelle
nach Wiederherstellung von Ganzheit
Das setzt Weihnachten in uns vertrauten Bildern ‚in Szene’. Diese Inszenierung erleben wir Jahr um Jahr. In sie gehören die zerstörerischen Risse: Machtgehabe, Flucht, Obdachlosigkeit, Verlassenheit, Ausgeliefertsein, Orientierungslosigkeit. Dem gleichzeitig zuwiderlaufend ‚heilend’: Geborgenheit, Nähe, Aufbruch und Erfüllung, Gebet, Annahme, Licht.
So wünschen wir uns Raum für solches Sehnen in ‚Zerrissenheit’.
Wir leben in einer großen Solidar-Gemeinschaft von Menschen, die sich so sehnen.
Für Augustinus (Kirchenlehrer 354 n.Chr.) ist das Sehnen selbst Gebet. Und so verweist er auf das innere Gebet der Sehnsucht: ‚Es gibt ein inneres Gebet ohne Unterlass, nämlich die Sehnsucht. Wenn du das Beten nicht unterbrechen willst, dann unterbrich nicht das Sehnen’.
So kann Raum für Liebe und Frei-heit entstehen, die ihre Zeichen gegen Rigorosität und Hass setzen.
Das ist ein gutes ‚Weihnachts-Geschenk’! Das wünschen wir als Ausstattung für (neuen) Aufbruch in die Freude.
In unserer Tradition sind das Weihnachtsfest, Jahresende und Beginn eines neuen Jahres eng verbunden.
Das Neue Jahr 2017 steht unter dieser Verheißung als Leitwort: Gott spricht: Ich schenke euch ein neues Herz und lege einen neuen Geist in euch.
Euer
Eine gute Freundin schreibt dazu:
‚We are all broken
that’s how the light gets in‘
Ernest Hemingway
dieses Zitat kam mir beim Lesen deines Weihnachtsbriefes in den Sinn … Ja, Zerrissenheit hat auch sein Gutes und in vielen Kulturen flickt man ‚Gebrochenes‘, ‚Zerrissenes‘ mit Gold und das Zerbrochene ist anschließend schöner als vorher …
ZUM NACH-SINNEN
Jenseits unserer Sehnsucht
wartet Erfüllung.
Sie will nicht entdeckt,
sie möchte empfangen werden.
Das Erwarten bahnt ihr den
Weg in zitternde Herzen.
Das Zittern ist ihr wie Klang
das Ziel zu finden.
Zittere gern, mein Herz –
du stehst auf Empfang!
Willst du Weihnachten
still, medium oder spritzig,
gerührt oder ungerührt,
am Stück oder aufgeschnitten,
als Einweg oder Mehrweg,
bio oder konventionell?
Willst du Weihnachten
einzeln oder als Familienpackung,
mit oder ohne Selbstbeteiligung,
Umtausch möglich oder nicht,
auf Garantie oder eigenes Risiko?
Willst du Weihnachten
mit Barzahlung oder auf Kredit,
sofort oder wenn es reduziert ist?
Wie du auch Weihnachten willst:
Es wird Spuren
von Gottes Sehnsucht
nach dir enthalten.
Peter Schott, Pfarrbriefservice.de