Sternentaler

Von | 17. Juli 2015

‚AUSZEIT‘-ERLEBNIS  

Anrede 1

15.Oktober 2008

Im Krankenhaus sein ist verordnete ‚Aus-Zeit‘. Fachärztliche Notwendigkeiten bestimmen den Tages-Rhythmus. Untersuchungen und Ergebnisse sind die großen Momente.

Eine solche Aus-Zeit schafft auch Raum für grundsätzliche Fragen nach dem ‚Woher und Wohin‘ des eigenen Lebens. Und es formuliert sich schnell die Frage: Was eigentlich ist wichtig?

Diese sehr persönliche Frage bekommt auch ‚Nahrung‘ durch gewissenhafte Beurteilung der gegenwärtigen weltpolitischen Situation, die den Absolutheitsanspruch von Gewinn-Maximierung in Frage stellt. Auch hier: Was eigentlich ist wichtig?

Offen für solche Fragen fallen plötzlich Hinweise wie „Sternen-Taler*) in das Nachsinnen.

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Erkenntnisse, die sich wie das Licht durch das Prisma ‚entfalten‘

Ich habe gelernt, Antworten auf existenzielle Fragen durch das Studium von biblischen Erzählungen zu finden. Diese Erzählungen sind ja aus diesem Fokus entstanden. Sie versuchen auf die (be)drängenden Fragen Antwort zu geben. In  bildhafter Weise bündeln sie die Erfahrungen von Menschen, die sich auf die Lebensgestaltung zum Beispiel des Wanderpredigers Jesus von Nazareth einließen.

Ein solcher „Sternen-Taler“ ist die Erzählung von der ‚Versuchung Jesu in der Wüste‘.

Die Frage: Was ist in meinem Leben wichtig? bedeutet anders ausgedrückt: Was hält mein Leben in der Balance von Freiheit einerseits und Bindung andererseits.

Versuchungen bestehen darin, eine vereinfachte Antwort zu geben, die vordergründig Freiheit verspricht und  jede Form von Bindung als Freiheit gefährdend erklärt. Diesem Verführungsversuch ist Jesus in seiner ‚Aus-Zeit‘ ausgesetzt.

Er steht vor der auch für ihn zentralen Frage, wie er sein Leben verstehen soll, wie er es gestalten will. Er weiß um seine Möglichkeiten und sie stehen ihm vor seinem inneren Auge: Uneingeschränkte Macht, schrankenlose Bedürfnisbefriedigung und absolute Unabhängigkeit. In seiner Vorstellung spiegeln sich Menschheits-Träume.

In diesen Vorstellungen lauert die verführerische ‚Einfachheit‘, indem sie sich als absolute, das heißt ‚ungebundene‘ Möglichkeiten anbietet. So bietet sich die Machtfrage als ‚Alles-ist-beherrschbar‘, die Bedürfnisbefriedigung als  ‚Alles-ist-machbar‘ und die Unabhängigkeit als ‚Nichts-wird-dir-passieren‘ an.

Dieser Verführung widersetzt sich Jesus, indem er die Realität der Bindung an ‚Gott’ ins Spiel bringt. Diese Bindung drückt sich in der Liebe aus und sie ist Teil der Balance! Mit dieser Bindung wird Macht zur dienenden Einflussnahme, Bedürfnisbefriedigung wird zur ganzheitlichen Sättigung und Unabhängigkeit wird zur Verantwortung. Das hat Jesus konsequent gelebt.

Die Versuchungserzählung beginnt mit den Worten: ‚Dann wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt …‘ und sie endet mit den Worten: ‚… und es kamen Engel und dienten ihm‘. Ich möchte diese verordnete Zeit so sehen und meine eingekehrte Zufriedenheit wie ein Geschenk der ‚Engel‘ sehen.

Es muss ja nicht gleich das Krankenhaus sein. Es gibt viele Momente, wo solche ‚Sternentaler‘ herab fallen und Antwort auch auf noch nicht gestellte Fragen geben.  Vielleicht kann auch dieser Brief  ein ‚Sternen-Taler‘ sein? Ich wünsche mir das!

 Euer

Anrede2


Ich habe meine Gedanken zu dieser Erzählung auch  in einem anderen Kontext aufgeschrieben (1.Impuls ‚Fasten – Lebens(ver)Sicherung‘).  Dort findet sich auch der Text der Erzählung. HIER


 

*) Das Mädchen und die Sternen-Taler
Es war einmal ein kleines Mädchen, dem war Vater und Mutter gestorben, und es war so arm, dass es kein Kämmerchen mehr hatte, darin zu wohnen, und kein Bettchen mehr hatte, darin zu schlafen, und endlich gar nichts mehr als die Kleider auf dem Leib und ein Stückchen Brot in der Hand, das ihm ein mitleidiges Herz geschenkt hatte.  Es war aber gut und fromm. Und weil es so von aller Welt verlassen war, ging es im Vertrauen auf den lieben Gott hinaus ins Feld. Da begegnete ihm ein armer Mann, der sprach: »Ach, gib mir etwas zu essen, ich bin so hungrig.« Es reichte ihm das ganze Stückchen Brot und sagte: »Gott segne dir’s«, und ging weiter. Da kam ein Kind, das jammerte und sprach: »Es friert mich so an meinem Kopfe, schenk mir etwas, womit ich ihn bedecken kann.« Da tat es seine Mütze ab und gab sie ihm. Und als es noch eine Weile gegangen war, kam wieder ein Kind und hatte kein Leibchen an und fror: da gab es ihm seins; und noch weiter, da bat eins um ein Röcklein, das gab es auch von sich hin.  Endlich gelangte es in einen Wald, und es war schon dunkel geworden, da kam noch eins und bat um ein Hemdlein, und das fromme Mädchen dachte:  »Es ist dunkle Nacht, da sieht dich niemand, du kannst wohl dein Hemd weggeben«, und zog das Hemd ab und gab es auch noch hin.  Und wie es so stand und gar nichts mehr hatte, fielen auf einmal die Sterne vom Himmel, und waren lauter blanke Taler; und ob es gleich sein Hemdlein weggegeben, so hatte es ein neues an, und das war vom allerfeinsten Linnen.  Da sammelte es sich die Taler hinein und war reich für sein Lebtag.
Brüder Grimm

 

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