In der Trauer im Gespräch bleiben
Von einer wie schwebenden Kraft durchdrungen *
‚Anhand der biblischen Geschichte vom Weg der Jünger Jesu nach Emmaus (Lukas 24) will der Gottesdienst Gelegenheit zur Besinnung und zum Abschiednehmen nehmen geben und in der Hoffnung bestärken‘.
So war es als Ankündigung des Gottesdienstes zum Gedenken an die an Corona verstorbenen Menschen und die Trauernden zu lesen.
Hier die angekündigte biblische Erzählung.
Die Emmaus-Jünger
13 Und siehe, zwei von ihnen gingen an demselben Tage in ein Dorf, das war von Jerusalem etwa zwei Wegstunden entfernt; dessen Name ist Emmaus.
14 Und sie redeten miteinander von allen diesen Geschichten.
15 Und es geschah, als sie so redeten und sich miteinander besprachen, da nahte sich Jesus selbst und ging mit ihnen.
16 Aber ihre Augen wurden gehalten, dass sie ihn nicht erkannten.
17 Er sprach aber zu ihnen: Was sind das für Dinge, die ihr miteinander verhandelt unterwegs? Da blieben sie traurig stehen.
18 Und der eine, mit Namen Kleopas, antwortete und sprach zu ihm: Bist du der Einzige unter den Fremden in Jerusalem, der nicht weiß, was in diesen Tagen dort geschehen ist?
19 Und er sprach zu ihnen: Was denn? Sie aber sprachen zu ihm: Das mit Jesus von Nazareth, der ein Prophet war, mächtig in Taten und Worten vor Gott und allem Volk;
20 wie ihn unsre Hohenpriester und Oberen zur Todesstrafe überantwortet und gekreuzigt haben.
21 Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde. Und über das alles ist heute der dritte Tag, dass dies geschehen ist.
22 Auch haben uns erschreckt einige Frauen aus unserer Mitte, die sind früh bei dem Grab gewesen,
23 haben seinen Leib nicht gefunden, kommen und sagen, sie haben eine Erscheinung von Engeln gesehen, die sagen, er lebe.
24 Und einige von uns gingen hin zum Grab und fanden’s so, wie die Frauen sagten; aber ihn sahen sie nicht.
25 Und er sprach zu ihnen: O ihr Toren, zu trägen Herzens, all dem zu glauben, was die Propheten geredet haben!
26 Musste nicht Christus dies erleiden und in seine Herrlichkeit eingehen?
27 Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in der ganzen Schrift von ihm gesagt war.
28 Und sie kamen nahe an das Dorf, wo sie hin gingen. Und er stellte sich, als wollte er weitergehen.
29 Und sie nötigten ihn und sprachen: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben.
30 Und es geschah, als er mit ihnen zu Tisch saß, nahm er das Brot, dankte, brach’s und gab’s ihnen.
31 Da wurden ihre Augen geöffnet und sie erkannten ihn. Und er verschwand vor ihnen.
32 Und sie sprachen untereinander: Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege und uns die Schrift öffnete?
33 Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem und fanden die Elf versammelt und die bei ihnen waren;
34 die sprachen: Der Herr ist wahrhaftig auferstanden und Simon erschienen.
35 Und sie erzählten ihnen, was auf dem Wege geschehen war und wie er von ihnen erkannt wurde, als er das Brot brach.
Lukas 24, 13-14
Lukas ist der Evangelist, der mit eindrücklichen Erzähl-Bildern Wesentliches für unser Leben begleitet. Das macht die über Generationen erzählten gewachsenen Erfahrungen so gegenwärtig nah.
In dem Gedenk-Gottesdienst gelang es, die alten Bilder in die gegenwärtige Situation verständlich zu übersetzen und sogar eine prägnante Begleitung extrem Trauernder darzustellen. Ich versuche hier einige dieser Impulse mit eigenen Worten wiederzugeben.
Trauer ist nicht stationär. Sie wird von Ort zu Ort getragen. Wir können und wollen uns der weltweiten Trauer nicht entziehen. Die Ausdrucksweisen mögen sehr unterschiedlich sein. Die Gründe der Trauer sind ähnlich: Es gibt kein Verstehen. Es gibt kein Erkennen. Es gibt Irritation und Resignation. Es gibt keine Perspektive. In der Trauer drehen wir uns im Kreise; wir kommen immer wieder dort an, wo wir los gingen. Das ist die aktuelle Situation.
Zahlen werden werden genannt. Die belastende Situation auf den Intensivstationen wird benannt und die Einsamkeit Sterbender ist Thema. So sieht ein wesentlicher Teil des gegenwärtigen Bewältigung-Prozesses aus. Und das ist in dieser Zeit stark und überzeugend geschehen. Daran werden sich Menschen immer und lange erinnern.
Es gibt eine Gemeinschaft von Trauernden und gleichzeitig bleibt jeder mit seiner Trauer allein: Und sie redeten von allen diesen Geschichten und der erlebten Aussichtslosigkeit. Das ist ein bedeutender Hinweis in der Erzählung: Zwei sind unterwegs nach Hause, die miteinander reden! Wenn die Konfrontation mit erfahrenem Verlust und Aussichtslosigkeit am stärksten ist, kann solche Gemeinschaft tragen.
In der Erzählung wird eine Unterbrechung dieses ‚Unterwegs-Seins‘ geschildert. Die Unterbrechung ist zunächst eine Frage: Was sind das für Dinge, die ihr unterwegs verhandelt? Die Reaktion ist: Da blieben sie traurig stehen …
Im Innehalten eröffnen sich sich Erkenntnis und neue ‚Wahrheit‘. Längst Vergessenes tritt ins Bewusstsein und wird in einen größeren Zusammenhang gestellt. Zu den bitteren Realitäten, noch einmal ausgesprochen, gesellt sich eine ganz andere Wahrheit.
Die kann so konkret sein, als gehe eine weitere Person mit. Es kommt zu einem Gespräch, das weitet und vertieft. Das ist Seelsorge-Erfahrung, die ich häufig ausgesprochen erlebt habe. Diese Erfahrung entwickelt eine solche Kraft, dass sie gebeten wird: Bleibe bei uns; denn es will Abend werden und der Tag hat sich geneigt. Und er ging hinein, bei ihnen zu bleiben.
Im Innehalten das Bewusstsein stärken
Den zu Beginn dieses Beitrages zu betrachtenden * ‚Schwebenden Engel‘ hat der Künstler Ernst Barlach geschaffen. Der ist in der Kirche von Güstrow zu sehen. Er ist für mich die ‚Verkörperung‘ erlebter ‚Trauerbegleitung‘!
Dieser Bewusstseins-Vorgang koppelt sich an viel früher Erfahrenes. Die Bedeutung von Erinnerungs-Ritualen für gelingende Trauerarbeit kommt in den Blick. Es wird eine Erinnerung freigesetzt, sie jetzt alles erhellt. Es wird warm ums Herz: Brannte nicht unser Herz in uns, als er mit uns redete auf dem Wege ….?
Diese Bewusstseins-Episode hat Energie: Und sie standen auf zu derselben Stunde, kehrten zurück nach Jerusalem … Rückkehr an den ‚Ort des Verlustes‘ und das Leben mit neuer Sicht annehmen. Die Verluste bleiben. Sie sind Bestandteil neu belebter Hoffnung.
Die Corona-Pandemie hat viele Opfer in weitestem Sinne gefordert und das wird noch lange Zeit so blieben. Diese Erzählung aber kann trösten und zu überraschenden Einsichten führen.
Wir werden diese Einsicht und diesen Trost auch in Zukunft als Trauernde und als bei Trauer Begleitende brauchen.