Ostern 2008 / 2018 /2020
Diesen Brief schrieb ich Euch zum Osterfest 2008. Schnee und Kälte waren äußerliche Merkmale. Der Zeitpunkt des Festes als „Aufhänger“ ist als Bild zu verstehen – die vertiefenden Gedanken dazu bleiben aktuell.
Manchmal macht uns das Wetter einen Strich durch die Oster-„Rechnung“. Ostereier im Regen oder sogar im Schnee – das passt nicht. Für viele verbindet sich mit Ostern frühlingshafter Aufbruch und das könnte bei Regen und vielleicht sogar Minus-Temperaturen nicht so recht klappen. Und überhaupt – die Ostertermine sind ja ohnehin nicht verlässlich. Warum denn bloß so früh in diesem Jahr? Warum denn bloß so spät in diesem Jahr?
Ich lade euch ein, bei allen Widersprüchen und einem möglicherweise resignierendem Blick durch regentropfennasse Fensterscheiben oder auf vermatschte Wege sich die Sache „Ostern“ einmal von einer ganz anderen Seite anzusehen.
Dazu empfehle ich euch, diesen Text, der Ostern in den Kirchen gelesen wird, einmal selbst zu lesen.
11 Maria aber stand draußen vor dem Grab und weinte. Während sie weinte, beugte sie sich in die Grabkammer hinein.
12 Da sah sie zwei Engel in weißen Gewändern sitzen, den einen dort, wo der Kopf, den anderen dort, wo die Füße des Leichnams Jesu gelegen hatten.
13 Die Engel sagten zu ihr: Frau, warum weinst du? Sie antwortete ihnen: Man hat meinen Herrn weggenommen, und ich weiß nicht, wohin man ihn gelegt hat.
14 Als sie das gesagt hatte, wandte sie sich um und sah Jesus dastehen, wusste aber nicht, dass es Jesus war.
15 Jesus sagte zu ihr: Frau, warum weinst du? Wen suchst du? Sie meinte, es sei der Gärtner, und sagte zu ihm: Herr, wenn du ihn weggebracht hast, sag mir, wohin du ihn gelegt hast. Dann will ich ihn holen.
16 Jesus sagte zu ihr: Maria! Da wandte sie sich ihm zu und sagte auf hebräisch zu ihm: Rabbuni!, das heißt: Meister.
Johannes-Evangelium 20, 11-16
Johannes, der Autor dieser Erzählung, wollte vielleicht gerade die Menschen erreichen, die ‚draußen‘ stehen und die mit ‚Ostern‘ eigentlich nichts anzufangen wissen; sich auf Äußerlichkeiten zurückziehen und dann – wenn diese in ihrem Sinne sich nicht erfüllen – eigentlich froh sind, wenn die Tage vorbei sind.
Ich habe dieser Annahme entsprechend einige Aussagen hervorgehoben.
‚Draußen stehen‘ meint ja, in ein Geschehen nicht einbezogen sein. Das kennen viele. Sie bleiben ‚außen vor‘ und fühlen sich irgendwie ’stehen gelassen und nicht abgeholt‘. Das erste Gefühl solcher Menschen ist Trauer, die dann in Aggressivität umschlagen kann. In der Erzählung ist von solcher Trauer die Rede. Die Trauer ist aus der Fassungslosigkeit entstanden, weil etwas geschehen ist , das für die Frau überhaupt nicht nachvollziehbar ist.
Allerdings tut die Frau etwas Entscheidendes: Sie beugt sich vor. Das heißt, sie lässt sich mit dem sie frustrierenden Tatbestand nicht einfach abspeisen. Sie setzt der depressiven Trauer ihre Aktion entgegen. Das ist, meine ich, ein ganz entscheidendes Vorgehen, denn jetzt kommt sie mit einer Erscheinung in Berührung, die schlagartig alles verändert. In der Erzählung fragen ‚Engel‘ nach dem Grund ihrer Trauer. Übersetzt heißt das doch, dass Resignation in verschiedenen Lebenssituationen immer auch solche tiefe Berührungsmöglichkeit in sich trägt. Dazu allerdings müssen wir uns ‚vorbeugen‘, uns also nicht zurückziehen.
Die Frau starrt weiter auf das ‚leere Grab‘ und kann auch nur aus dieser Blickrichtung so ‚antworten‘. Auch das ist eine Erfahrung, die Menschen in aussichtsloser Lebens-Situation machen: Sie bleiben der Problemsicht gleichsam verhaftet. Eine Weisheit lautet: Ein Problem lässt sich nicht mit der gleichen Einstellung lösen, aus der heraus es entstanden ist.
Jetzt geschieht etwas Überraschendes. Noch indem die Frau in ihrer Sicht verhaftet ist,
An dieser Stelle einen gedanklichen Einschub: In der eigenen Sicht ‚verhaftet‘ könnte sich ja auch so ausdrücken, dass sie diesen Ort resigniert verlässt, um ‚zu holen, was sie sucht‘. Die Ansprache des vermeintlichen ‚Gärtners‘ hält sie auf und sie dreht sich um! Nur ihr gerufener Name löst Vertrautheit aus, denn sie antwortet in ihrer ‚Muttersprache‘. Anders ausgedrückt, sie fühlt sich in der Tiefe ihres Seins angesprochen … (sinngemäße Wiedergabe eines Hinweises in der Predigt beim Fernseh-Gottesdienst aus der Saalkirche Ingelheim am 12, April 2020)
dreht sie sich um. Ein wichtiger Schritt, weil sie jetzt in einen weiterführenden Dialog treten kann, ausgelöst durch die Frage: Wen suchst du? Übersetzt lautet die Frage: ‚Sage doch, was dir fehlt!‘ So sprechen wir ja auch Menschen in problematischer Verwicklung an: Was fehlt dir denn? Das schon ist der Beginn österlicher Erfahrung, wenn wir uns von dem abwenden, was uns bedrängt.
Erst, als der Unbekannte die Frau mit ihrem Namen anspricht, wendet sie sich nicht nur um, sondern sie wendet sich ihm zu und erkennt den, den sie sucht! Das ist ‚Umwandlung‘! Solche ‚Umwandlung‘ brauchen wir in Momenten, wo uns die Probleme verhaften, wir ’nur noch heulen‘, uns kaum noch Lösungen vorstellen können, wir zwanghaft wie ein Hamster im Rad laufen. Die Umwandlung führt verwandelnd in das Kraft-Zentrum der Ermutigung.
Das Unrealistische kommt in die Realität des ‚Begreifens im Glauben‘. Das ist Ostern! Das meint ‚Auferstehung‘. Die Kraft des Auferstandenen ‚ruft‘ heraus: ‚Amelie!‘, ‚Zacharias!‘, ‚Jan-Peter!‘ ….nehmt meine Lebendigkeit in euch wahr!
In den Ausweglosigkeiten unseres Lebens liegt immer diese ‚Erlösung‘ verborgen.
Ostern zu feiern bedeutet,
die Gräber hinter uns zu lassen,
uns von der Bewegung Jesu
mitreißen zu lassen,
das Leben zu feiern.
Maria ‚begreift‘ langsam – und jetzt spreche ich von uns, von Euch – wir begreifen langsam, dass wir das Neue nur erkennen können, wenn wir uns ‚herausrufen‘ lassen in die ’neue Schöpfung‘. Das kann ein langer Prozess sein und ein immer neuer auch. Aber, wie diese Erzählung deutlich machen möchte, ein Prozess mit ‚glücklichem Ausgang‘. Liebe Amelie, lieber Zacharias, auch Euer Weg in österliche Erfahrung ist so markiert: Sich von dem Bedrängenden abwenden, sich (im Gebet) der umwandelnden Kraft zuwenden und neu handlungsfähig werden.
Altarbild in der ‚Grabeskirche‘ in Jerusalem
Diese österliche Erfahrung macht stark. Sie lässt sich nicht schwächen, auch dadurch nicht, dass Ostereier möglicherweise im Schnee liegen und der Osterspaziergang bei frühlingshaften Temperaturen auf später verschoben werden muss.
Goethe dichtete in seinem ‚Osterspaziergang‘ im ‚Faust‘: ‚Vom Eise befreit sind Strom und Bäche durch des Frühlings holden, belebenden Blick, im Tale grünet Hoffnungsglück …‘ Aber Ostern ist mehr. Ostern ist der offene Himmel über aller Enge.
Diesen Brief schreibe ich Euch aus einer ‚Klausur‘. Ich habe mir eine ‚Auszeit‘ genommen und nehme an den Tagen vor Ostern an den Tageszeit-Gebeten in einem Kloster teil. Auch eine Möglichkeit, die helfen kann, die Blick-Richtung zu verändern, gleichsam ‚vorbeugend‘.
Eine gesegnete Oster-Zeit wünsche ich Euch!
Euer
Wer mag, findet unter THEMEN (‚Grundsätze unseres Lebens‘ / Osterzeit) weitere Impulse.
So könnt ihr zu mir Kontakt aufnehmen.