Flut-, Feuer- und Erbeben-Katastrophen, Tod und Erschrecken in Duisburg während der ‚Love-Parade‘, die ‚Wahnsinns‘-Tat in Norwegen und ‚Amok‘-Läufe machen fassungslos und immer formuliert sich diese Frage:
Warum?
Wir kennen alle diese Situation: Eine Mutter mit ihrem vierjährigen Sohn in der Bahn. Die Wahrnehmungen des Kindes verdichten sich zu Fragen. Und häufig beginnen sie mit ‚Warum?‘. Die Mutter gibt erklärende Antworten, die das Kind mit einem erneuten ‚Warum?‘ aufnimmt. Die folgenden Erklärungen werden immer sparsamer und manchmal geraten sie ins Absurde und irgendwann verstummt die Gefragte. Es folgen noch einige ‚Warum?‘ – dann ist der Dialog beendet. Für die unfreiwillig Zuhörenden bleibt vielleicht ein Gefühl stiller Genugtuung. Das Kind hat mit seiner Art zu fragen einen Erwachsenen „ohnmächtig“ werden lassen.
Diese Art zu fragen ist kindlich und ist Teil des Reife-Prozesses, zu dem die Frage nach den kausalen Zusammenhängen gehört. Diese Art bestimmt aber über solchen Reife-Prozess hinaus häufig auch die Kommunikation Erwachsener und bringt Gesprächs-partner in erheblichen Rechtfertigungsdruck.
Auch beim ’stillen‘ intrapersonalen Dialog geschieht Ähnliches. ‚Ich frage mich, warum?‘ ist eine geläufige Art zu fragen und sie erhält letztendlich keine Antwort. Sie lässt ähnlich verstummen wie die besagte Mutter im Zug verstummte.
Wird aus dem ‚Warum?‘ ein ‚Wozu?‘, werden Zusammenhänge nicht nur auf einer anderen Ebene betrachtet. Diese Art zu fragen, öffnet! Das gilt für die intrapersonale und die interpersonale Ebene gleichermaßen.
In der Beziehung zum Beispiel impliziert sie Interesse des Fragenden an Zusammenhängen und will nicht in die Enge treiben. Das „Wozu?“ stellt eigentlich die Frage: Was kann daraus werden? Sie öffnet Perspektiven. Letztlich ist sie in tiefstem Sinne eine seelsorgerliche Fragestellung.
Die Bibel verwehrt die ‚Warum‘-Fragen. Sie fördert die „Wozu“-Fragen. So kennt die Bibel auch keine ursächliche Begründung des Bösen. Sie stellt sich dem Bösen in der Weise, dass sie fragt, was daraus wird. Der Weg ist ihr entscheidend.
Unterwegs sah Jesus einen Mann, der seit seiner Geburt blind war.
Da fragten ihn seine Jünger: Rabbi, wer hat gesündigt? Er selbst? Ober haben seine Eltern gesündigt, so dass er blind geboren wurde?
Jesus antwortete: Weder er noch seine Eltern haben gesündigt, sondern das Wirken Gottes soll an ihm offenbar werden.
Johannes 9, 1-3
Die Kraft Gottes in uns kann verwandeln. Die in die Enge treibenden, kränkenden, tödlichen Kräfte werden in Kräfte verwandelt, die in die Weite führen, die Klarheit schaffen, die Verstrickungen aufdecken, die aufrichten und lebendig machen. Die ‚Wozu‘-Frage setzt solche Dynamik frei.
‚Wozu‘-Fragen sind Gebete. Sie sind weniger im Kopf angesiedelt. Dieser hilft der Herzens-Frage allenfalls zur Sprache. Ich nehme es Menschen angesichts von Katastrophen ab, wenn sie sagen: „Ich kann nur beten“.
Dieses Beten führt zu öffnenden Erkenntnissen. In einem Fernseh-Interview wird eine Notfall-Seelsorgerin gefragt, warum Gott das habe zulassen können. Und sie antwortet: ‚Danach habe ich ein Leben lang gefragt. Ich weiß auch jetzt keine Antwort. Ich weiß aber, dass Gott in dem unvorstellbaren Leid ist und mitleidet‘.
Diese Haltung ist die einzige, die wirklich weiterhilft und die Energien freisetzt, die die Toten, die Überlebenden, die in unendlicher Trauer Zurückgebliebenen und die letztlich auch ich als erschrocken Betrachtender brauchen.
Klaus Berger, Theologe formulierte in einem Vortrag etwa so:
Die entscheidende Frage ist, was Gott aus dem Bösen macht. Gott hat etwas vor. Er ist kein ‚Wohlfühl-Gott“. Wir müssen endlich die Wahrheit gelten lassen, dass wir nicht Gott sind. Gott ist Mensch – nicht der Mensch ist Gott. Gott ist auf dem Wege, seine Verheißungen zu erfüllen, nicht unsere Wünsche.
Es ist mein Gebet, dass dieser Gott mit seiner Kraft in mir und allen Fragenden und Zweifelnden stark wird, damit wir nicht aus dem Gefühl der Ohnmacht sondern der inneren Stärke handeln.