Gegen ‚Winter‘-Depressionen
In der Zeitung fand ich einmal folgende Schlagzeile:
Gegen Winterdepressionen: Die neuen Cabrios!
Die Werbung ist immer den aktuellen Befindlichkeiten auf der Spur. Das macht sie erfolgreich und problematisch gleichzeitig. Sie suggeriert, dass es gegen jede psychische Unpässlichkeit ein ‚Mittel‘ gibt. Dafür sind Menschen immer empfänglich, weil sie nach dem Ausgleich suchen, wenn die ‚innere Balance‘ gestört ist.
Unsere innere Befindlichkeit ist nie ’stationär‘ ausgeglichen. Sie ist immer in Bewegung und ein längerer Balance-Verlust ruft nach Ausgleich. Da ist die Werbung schnell zur Stelle und macht ihre Angebote.
In diesem Zusammenhang ist es lohnend, sich einmal die Werbe-Spots kritisch anzusehen und herauszufinden versuchen, welches existenzielle Bedürfnis die Werbung unterschwellig ‚bedient‘.
Wollen wir solcher vordergründigen Bedürfnis-Befriedigung entgehen, müssen wir Ausschau nach anderen Möglichkeiten suchen.
Einmal kommt ein junger Mann zu Jesus, der offensichtlich dieses Defizit spürt.
Und als er sich auf den Weg machte, lief einer herbei, kniete vor ihm nieder und fragte ihn: Guter Meister, was soll ich tun, damit ich das ewige Leben ererbe?
Aber Jesus sprach zu ihm: Was nennst du mich gut? Niemand ist gut als Gott allein. Du kennst die Gebote: „Du sollst nicht töten; du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht falsch Zeugnis reden; du sollst niemanden berauben; ehre Vater und Mutter.“
Er aber sprach zu ihm: Meister, das habe ich alles gehalten von meiner Jugend auf. Und Jesus sah ihn an und gewann ihn lieb und sprach zu ihm: Eines fehlt dir. Geh hin, verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach!
Er aber wurde unmutig über das Wort und ging traurig davon; denn er hatte viele Güter.
Markus-Evangelium 10, 17-27
Vielleicht kommt er, weil er die drohenden ‚Winterdepressionen‘ kommen spürt. Was soll ich tun, wenn alle Ablenkungen fortfallen, weil es früher dunkel wird und die Sonne seltener nach draußen lockt? Was soll ich tun in dieser Zeit, wenn ich mich in die Enge getrieben fühle? Was kann ich tun, um nicht depressiv abzusacken?
Chance in ‚winterlicher‘ Begrenzung?
Nach der Beziehungsklärung, die schon mal einen versteckten Hinweis auf die Lösung seines Problems enthält, wird der junge Mann erst einmal an die ‚Rahmenbedingungen‘ seines Lebens erinnert. Und der kann nur entgegnen: ‚Alles klar, da habe ich meine Prinzipien. Die lösen aber nicht mein Problem.‘ ‚Genau‘, hört er, ‚dir fehlt Entscheidendes!‘
Und jetzt folgt eine Handlungsanweisung für die konkrete Lebenssituation des jungen Mannes.
Sie lautet für uns: Schau hin, was dich wirklich herunter zieht! Löse dich von all den ‚Mitteln‘, die du dir angeeignet hast, um mit den Situationen, die dich innerlich bedrängen, zurecht zu kommen. Dann wirst du etwas ganz Erstaunliches erleben: Für einen Moment magst du mit ‚leeren Händen‘ dastehen, dann aber füllen sie sich. Du spürst einen Schatz, der ‚himmlisch‘ ist.
Allerdings, eine Bedingung gehört dazu: Du musst dich auf den Weg machen. ‚Folge mir nach!‘ heißt bei sich selbst Einkehr halten und den ‚himmlischen‘ Kräften begegnen; sich für sich selbst öffnen und die ‚Lösungs-Mittel‘ entdecken. Dafür ist die Zeit des Winters gut geeignet!
Einen möglichen Weg gegen „Winterdepressionen“ habe ich HIER beschrieben.
Auch das Angebot ‚ZWÖLF HEILIGE NÄCHTE‘ kann zur inneren Orientierung helfen.
Nachträge
Rudolf Alexander Schröder (1878-1962) beschreibt in einem Gedicht die Wirkung des Tauwindes. Der „himmlische Schatz“ ist auch dem Tauwind vergleichbar, der das Vereiste in uns zum Schmelzen bringt und das Erstarrte in uns zum Blühen.
Blick in die Welt und lerne leben,
bedrängt Gemüt.
Braucht nur ein Tauwind sich zu heben,
und alles blüht.
Die Hasel stäubt, an Weidenreise
glänzt seidner Glast,
Schneeglöckchen lenzt im halben Eise
und Seidelbast.
Braucht nur ein Tauwind sich zu heben –
verzagt Gemüt,
blick in die Welt und lerne leben:
Der Winter blüht!
Vielleicht kann den Winter besser ertragen, auskosten und genießen, wer es gelernt hat, im Sommer und Herbst Vorräte anzulegen. Nicht nur solche zum Essen …
Und während wir von den Schätzen des Sommers zehren, können wir jetzt im Winter einen neuen Vorrat an Stille und Einkehr, Muße und Beschaulichkeit anlegen.
Das hilft uns, mitten in den überbordenden Aktivitäten der übrigen Jahreszeit den langen Atem zu bewahren.
Dörig, „Stille Wintertage“, Verlag am Eschbach, 2005
Das wunderbar illustrierte Büchlein ‚Frederick‘ von Leo Lionni nimmt das Thema auf.
‚Der Winter naht. Alle Feldmäuse arbeiten Tag und Nacht, sammeln Körner und Nüsse, Weizen und Stroh. Alle bis auf Frederick. Er sammelt Sonnenstrahlen, Farben und Wörter, das sind seine Vorräte für die kalten, grauen und langen Wintertage….‘
(IBAN 978-3-407-77049-0)